Es geht auch ohne Geld: Zurück zum Tausch!

■ Bargeldlose „Tauschringe“ sind auch hierzulande im Kommen

Berlin (taz) – Tauschhandel weckt unwillkürlich Erinnerungen an Erlebnisse in Kindertagen: Schokolade gegen Glasmurmel oder ein Bildchen von Uwe Seeler gegen eins von Pelé. Mit kindlicher Sammelleidenschaft haben die Tauschringe, die sich in der Bundesrepublik langsam etablieren, jedoch wenig gemein. Durch das Prinzip „Tausche Arbeit gegen Arbeit“ können vielmehr auch bargeldärmere Zeitgenossen an der Dienstleistungsgesellschaft teilhaben – ohne einen Pfennig Geld zu bezahlen.

Das Szenario sieht so aus: Frau Müller ist gehbehindert und lebt im fünften Stock einer Kreuzberger Altbauwohnung von einer kleinen Rente. Mit den Nachbarn hat sie wenig Kontakt. Im Nachbarschaftsheim liest sie im Straßenkreuzer, der Zeitung des Kreuzberger Tauschrings, zwei Anzeigen. Eine Studentin bietet Hilfe beim Einkauf oder sonstigen Besorgungen an. Ein junges Ehepaar wiederum sucht abends hin und wieder einen Babysitter für ihre kleine Tochter. Frau Müller wird gegen eine Aufnahmegebühr von 20 Mark Mitglied im Tauschring und legt dort ein Konto an, das mit der Währung „Kreuzer“ geführt wird.

Britta, die Studentin, kommt nun zweimal in der Woche, um für Frau Müller einkaufen zu gehen. Pro Stunde erhält sie dafür 15 Kreuzer. Das junge Ehepaar bringt ihre kleine Tochter ungefähr alle zwei Wochen für einen Abend zu Frau Müller, auch jeweils zu 15 Kreuzern pro Stunde. Frau Müllers „Kreuzerkonto“ gleicht sich somit immer wieder aus. Wenn Britta ihre „Kreuzer“ wieder eintauschen möchte, so kann sie sich beispielsweise von einem anderen Anbieter die Haare schneiden lassen.

Der Kreuzberger Tauschring hat Vorbilder: Während der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre wurden in den USA und Europa verschiedene Projekte gegen die wachsende Arbeitslosigkeit entwickelt. In der österreichischen Gemeinde Wörgl beschloß der Bürgermeister ein „Nothilfeprogramm“. Gegen sogenannte „Arbeitswertbestätigungsscheine“, die nur in der Gemeinde gültig waren, konnte die Gemeinde Arbeitskräfte einstellen, die Brücken bauten und das Rathaus renovierten. Andererseits akzeptierten Lebensmittel- und Bekleidungsgeschäfte dieses „Wörgler Geld“.

Zu Beginn der 80er Jahre griff eine von Arbeitslosigkeit geplagte kanadische Gemeinde die Idee wieder auf und führte das System des Local Exchange Trade (LET) ein. LET, zu deutsch „lokaler Tauschhandel“ hat sich seitdem vor allem in Australien, Neuseeland, Großbritannien und der Schweiz verbreitet. Der Vorteil dieses Systems gegenüber dem archaischen Tauschhandel: die Transaktion muß nicht zwischen zwei PartnerInnen stattfinden, sondern kann, dank moderner Datentechnik, in einem großen Rahmen ablaufen. Neben den rein materiellen Werten stellt sich auch ein sozialer Nebeneffekt ein. Mit einem Mal beleben sich nachbarschaftliche Strukturen wieder, über den Handel kommen die Menschen ins Gespräch.

Die Tauschringe in Deutschland haben ein gewisses Kreditlimit festgelegt, damit das System nicht zur kostenlosen Dienstleistung ausgenutzt werden kann. Das „Talent-Projekt“ in Magdeburg ist beim Ökozentrum angesiedelt (Tel: 0391-7315980). In Berlin werden in vier Stadtbezirken Tauschringe aufgebaut, der Kreuzberger Tauschring ist im Nachbarschaftsheim (Tel: 030-6922351) erreichbar. Weitere Projekte gibt es im Ort Lenzkirch (Schwarzwald), in Köln, Kassel, Chemnitz und in Halle/Saale. Ein Handbuch zum LET-System kann über PaySys in Frankfurt (Tel: 069-523600) bestellt werden. Elke Eckert