Staatsverbrechen auf Bestellung

■ Bayerisches Landeskriminalamt und BND sollen waffenfähiges Plutonium geordert haben

Hamburg/Bonn (AFP) – In der Affäre um den Plutoniumschmuggel von Moskau nach München mehren sich Hinweise darauf, daß das Geschäft von deutschen Sicherheitsbehörden inszeniert wurde. Das bayerische Landeskriminalamt (LKA) soll bei drei Atomdealern atomwaffenfähiges Plutonium 239 bestellt haben und sie dazu angestiftet haben, es nach Deutschland zu transportieren.

Dies berichtete am Donnerstag das Fersehmagazin Panorama und berief sich dabei auf Vernehmungsprotokolle des angeklagten Kolumbianers, Justiniano Torres Benitez, und eines Dolmetschers. Laut Panorama handelten ein verdeckter Ermittler des LKA und ein Dolmetscher vom Bundesnachrichtendienst (BDN) die Menge des Plutoniums und die Zahlungsmodalitäten aus. Torres habe daraufhin zugesagt, nach Moskau zu fliegen und zwei bis drei Tage später mit 500 Gramm Plutonium zurückzukehren. Diese Version habe der BND-Dolmetscher bei einer Vernehmung im großen und ganzen bestätigt. Laut BND-Chef Konrad Porzner hat der Pullacher Geheimdienst erst am 18. Juli 1994 von dem geplanten Schmuggel erfahren, als sich die Anbieter bereits mit einer Probe des Materials in München aufhielten. Der Fall sei dann an das LKA und die Staatsanwaltschaft übergeben worden.

Dem widerspricht auch der Spiegel in seiner neuesten Ausgabe. Danach habe der Geheimdienst früher als zugegeben von dem Schmuggel gewußt und das Geschäft selbst inszeniert. Ein verdeckter Ermittler des BND sei schon Tage vor der Ankunft der mutmaßlichen Atomschmuggler nach München gekommen. Er habe sich mit BND-Mitarbeitern und Beamten des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) getroffen. Laut Spiegel wurde der Schmuggel von vermutlich zwei BND-Mitarbeitern in Madrid über einen langen Zeitraum durch Scheinangebote angeschoben. Das Magazin beruft sich auch auf die drei mutmaßlichen Plutoniumhändler, die am 10. August festgenommen und nach ihren Aussagen gezielt nach München gelockt worden waren. Noch Anfang der Woche hatte Staatsminister Bernd Schmidbauer behauptet: „Der Bundesnachrichtendienst hat zu keinem Zeitpunkt den Schmuggel radioaktiven Materials als Behörde oder durch einen Mitarbeiter initiiert.“

Der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping warf Schmidbauer vor, er habe das Parlament im vergangenen Jahr falsch über die Hintergründe unterrichtet. „Entweder war der Mann im August 1994 vollständig informiert, dann hat er die Öffentlichkeit belogen. Oder er war nicht vollständig informiert, dann ist er auch fehl am Platze“, sagte Scharping dem Spiegel. In den vergangenen Tagen hatte die Opposition in Bonn schon mehrfach den Rücktritt Schmidbauers verlangt. Auch ein Vertrauter von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) sagte laut Spiegel, falls sich herausstelle, daß Schmidbauer im vergangenen August die Unwahrheit gesagt habe, müsse er gehen. Scharping kündigte an, daß bei der Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission am Donnerstag ein detaillierter Fragenkatalog vorgelegt werde. Sollten die Antworten nicht zufriedenstellen, sei der nächste Schritt ein Untersuchungsausschuß. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Hörster, kritisierte Scharpings Äußerungen als „unqualifiziert“. Norbert Gansel (SPD) will die Affäre auf die Tagesordnung der nächsten Bundestagssitzung bringen. Das beschlagnahmte Plutonium hätte ausgereicht, um bei einem Unfall das gesamte Grundwasser in Deutschland zu verseuchen. „Ein Transport per Lufthansa nach Deutschland, angestiftet durch deutsche Behörden, wäre ein Staatsverbrechen.“