Schlechte Zeiten für Sterngucker

■ taz-Interview mit V.K. Abalakin, Leiter der Petersburger Sternwarte Pulkovo und Gast der Bremer Olbers-Gesellschaft

„Astronomische Hauptstadt der Welt“ nannte man vor hundert Jahren den kleinen Ort Pulkovo im Süden St. Petersburgs. Der Astronom Wilhelm Struwe aus Altona leitete die 1839 gegründete Sternwarte und kaufte nach dem Tod des Bremer Astronomen Olbers dessen umfangreiche Bibliothek. Diese bildete 1841 den Grundstock für eine der wertvollsten Büchersammlungen des 19. Jahrhunderts. Bis zum Ersten Weltkrieg dauerte das goldene Zeitalter für Pulkovo. Mit der Oktoberrevolution wurden die Geldmittel knapp, die stalinistischen Säuberungen wüteten auch unter den Astronomen. Im Krieg wurde Pulkovo fast völlig zerstört, und nur der Einsatz der damaligen Bibliothekarin, die ein Großteil der Bestände auslagerte, rettete die Olbers'sche Sammlung vor deutscher Barbarei. Nach Wiederaufbau und -eröffnung 1954 wurde Pulkovo erneut zu einem Zentrum der Astronomie von Weltrang. Nach der Wende 1989 flossen die Mittel der Akademie der Wissenschaften immer spärlicher. Nun stehen die Existenz der Sternwarte und der - bislang ohnehin ein trauriges Dasein fristenden - Olbers'schen Bestände überhaupt auf dem Spiel. Die taz sprach mit V.K. Abalakin, dem Leiter der Sternwarte, der eine Woche lang als Gast der Olbers-Gesellschaft in Bremen weilte.

taz: Professor Abalakin, wie sieht zur Zeit der Alltag in Pulkovo aus?

Abalakin: Den Schwierigkeiten zum Trotz arbeiten wir natürlich weiter so gut es geht. Wir haben durch das Auseinanderbrechen der Sowjetunion die meisten unserer Außenstationen verloren, bis auf ein Observatorium im Nordkaukasus. Dort steht jetzt ein großer Teil der Struweschen Gerätschaften. In Pulkovo selbst ist die Moral der Mitarbeiter natürlich bedrückt. Die Gehälter sind nur sehr niedrig; dazu werden sie mit drei oder vier Monaten Verspätung ausgezahlt. Die Astronomen in Pulkovo profitieren derzeit mehr von ihren Gemüsebeeten, von den Möhren und Kartoffeln. Die Regierung läßt uns im Stich. Fünf Astronomen müssen sich einen veralteten Personal Computer teilen. Und wir verlieren sehr viele Daten, weil das Elektrizitätswerk unserem Großrechner oft den Strom abstellt, weil wir unsere Außenstände nicht zahlen können. Dienstreisen sind selbsredend nicht möglich, bis auf Privatinitiativen ist der Austausch mit anderen Sternwarten zum Erliegen gekommen. Die schlechte russische Infrastruktur macht das noch schwerer.

Die Akademie der Wissenschaften leidet unter chronischem Geldmangel und kann Pulkovo nicht adäquat unterstützen. Gibt es von anderen Teilen der Gesellschaft ein Interesse am Erhalt der Station?

Vergessen Sie nicht, wer von der Umschichtung in der Gesellschaft profitiert hat. Eine Handvoll lebt wie Gott in Frankreich, die anderen sind am Rande der Bettelei. Wer reich ist, ist sehr egoistisch, will möglichst schnell viel vom Staat rauben und dann verschwinden. Der hat kein Interesse, etwas zu fördern. Dem ist egal, daß auf dem Gelände neben dem kulturell und geschichtlich wertvollen Hauptgebäuden noch fünfzehn andere stehen, in denen 350 Familien wohnen.

Was passiert denn von Staatsseite für den Erhalt der Sternwarte?

Es gibt Erlässe von Jelzin, daß wir und andere Institutionen erhaltenswert seien. Aber es sind nur Worte, die er bieten kann, solange wir nicht als nationale, wissenschaftliche und kulturelle Gedenkstätte anerkannt sind. Die russische Staatsbank gibt nicht gern Geld, dafür ist die Verwaltung beim Eintreiben der Abgaben sehr genau. Wir sind wie in einer Schere, von zwei Seiten bedroht, und von beiden Seiten werden wir geschoren.

Dafür haben andere Interesse an der Anlage, wenn auch nur als Geldanlage und Immobilie...

Richtig, Schieber haben schon versucht, uns das Gästehaus der Warte wegzunehmen, um ein Hotel daraus zu machen. Die örtlichen Behörden verhielten sich sehr distanziert bei unseren Versuchen, uns dagegen zu verteidigen. Sie stehen mit den Geldmachern und den alten Bonzen von früher auf besserem Fuße. Wir sollten also auf eigene Faust handeln, denn die Kriminalität bedroht auch die Bestände des Museums und der Bibliothek. Aber als Wachpersonal können wir nur alte, pensionierte Wissenschaftler, die bei uns gearbeitet haben, einstellen. Die können sich nicht verteidigen wie junge Leute. Also haben wir angefangen, die Fenster im Erdgeschoß zu vergittern, aber das Geld ist uns nach kurzem ausgegangen. Unsere Verteidigung hat Lücken.

Was kann getan werden, um Pulkovo zu retten?

Die Möglichkeiten sind natürlich sehr begrenzt. Die Begeisterung und Ermunterung der internationalen Kollegen ist wertvoll. Viele von ihnen schicken uns Fachbücher. Das deutsche meteorologische Observatorium in Lichtenberg hat uns mit Rechnern unterstützt. Unsere große Hoffnung ist aber das geplante Hilfs-Abkommen der deutschen Bundesregierung und der Administration von Petersburg, das diese Region unterstützt. Es wäre wichtig, wenn sich ein Bundesabgeordneter unserer Sache annehmen könnte. Wir müssen darauf drängen, daß Pulkovo ausdrücklich als Geldempfänger in diesem Vertrag genannt wird. Das ist auch in Ihrem Interesse, denn ohne fest definierte Empfänger bereichert sich nur die Mafia an der Hilfe.

Interview: Lars Reppesgaard