Das High-Tech-Velo als Vorbild für Flugzeuge

Forschungsprojekt entwickelt neuen Fahrradrahmen / 5,6 Millionen Mark Förderung kamen aus Bonn geflossen / Velo gilt als exemplarisch für andere Verkehrsmittel / Ein technisch perfektes Produkt ist aber noch nicht markttauglich  ■ Von Lars Klaaßen

Da schlägt das Radler-Herz höher: Im Rahmen eines Forschungsprojektes konstruierten acht Industrieunternehmen und zwei Forschungsinstitute einen High-Tech- Fahrradrahmen. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) machte von 1990 bis 1994 rund 5,6 Millionen Mark für das Verbundprojekt locker. Der Velo-Torso brachte nicht nur Erkenntnisse für die Materialforschung, sondern auch für Fertigungsverfahren.

„Ein Fahradrahmen war für uns das ideale Studienobjekt“, erläutert Siegfried Liese, Projektträger des BMFT für Fertigungstechnik und Qualitätssicherung. Komplexe Bauteilgeometrie, hohe Belastung im Einsatz und Krafteinwirkung an Lenkkopf und Tretlager – das forderte die Wissenschaftler heraus. Ihr Ziel: Die Entwicklung eines leichten Baustoffes, der stark belastbar ist und maschinell gefertigt werden kann. Liese: „Der Fahrradrahmen gab uns härteste Probleme zu knacken.“ Andererseits sei das Objekt trotz allem überschaubar geblieben.

Zur Lösung ihrer Probleme nutzten die Wissenschaftler sogenannte Faserverbundmaterialien. „Dieser Werkstoff besteht aus drei Komponenten, nämlich Fasern, Harz und Härter“, erklärt Dieter Pingel, der Leiter des gesamten Projektes vom Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik. Das Institut ist gemeinsam mit der Technischen Universität Berlin maßgeblich an dem Projekt beteiligt. „Die Fasern werden in Kunststoff-Harz eingebettet und schließlich mit Härter versehen.“ Das ergebe, so Pingel, die erwünschte Kombination der Eigenschaften – sehr leicht und äußerst fest.

Das ist an sich nichts Neues. Dieses Verfahren ist schon seit Jahrzehnten bekannt. Tennisschläger und Skier werden auf diese Art hergestellt, seit Holz als Werkstoff für den Leistungssport ausgedient hat. Bisher wurden Bauteile aus diesen Materialien allerdings häufig manuell hergestellt, wenn sogenannte Krafteinleitungskomponenten aus Metall darin verarbeitet werden mußten. So eine Komponente stellt zum Beispiel das Tretlager am Fahrradrahmen dar. Dank des Forschungsprojektes stehen solche heiklen Stellen einer maschinellen Fertigung künftig nicht mehr im Wege.

Das dürfte vor allem die Arbeiter freuen, denn „bei der Verarbeitung von Faserverbundmaterialien entstehen Stäube und Dämpfe, die den Organismus belasten“, weiß Pingel. Den unangenehmen Teil der Arbeit können künftig also Industrie-Roboter übernehmen. Dies hat einen weiteren Effekt, der für die Hersteller viel spannender sein dürfte: Mit der Automatisierung wird auch die erhöhte Produktion des Materials bei niedrigen Kosten angestrebt.

„Trotzdem, wir haben hier keinen marktspezifischen Rahmen gebaut, der morgen schon im Laden steht“, räumt Wolfgang Holstein, Gründer der Firma HMS Antriebssysteme, ein. „Das Ergebnis dieser vierjährigen Forschungen ist zwar ein technologisch perfektes Produkt, das sagt aber nichts über die Umsetzung im größeren Stil aus.“

Als Vorlage diente das Kunststoffrennrad S 89-2 vom Institut für Forschung und Entwicklung für Sportgeräte (FES). „Das erste Muster hat 1988 bei den olympischen Spielen in Seoul bereits für Aufregung gesorgt“, berichtet Pingel. Der Rahmen wurde damals manuell erstellt. Das ist beim neuen Modell nicht mehr der Fall. Damit ist die Produktion in großen Stückzahlen theoretisch machbar geworden. Aber der Rahmen allein nützt nicht viel. Um die verbesserten Eigenschaften zum Tragen zu bringen, so Holstein, müsse ein völlig neues Fahrradkonzept um den Rahmen herum entwickelt werden. Technische Innovation bis ins Detail soll die Lösung bringen.

Der aus einem Guß gefertigte Rahmen mit einseitig aufgehängtem Hinterrad beflügelt denn auch Holsteins Phantasie: „Da der Rahmen aus einer Platte besteht und nicht aus Rohren, könnte man das Fahrrad mit einer Kardanwelle statt einer Kette ausrüsten.“ Die Vorteile: Kein Dreck, keine Wartung. Auf Knopfdruck abnehmbare Laufräder seien ebenfalls denkbar, so Holstein. Seine Vision vom Velo der Zukunft: „Das Unisex-Citybike – es hat einen Gebrauchswert wie ein Hollandrad, wiegt aber nicht 18, sondern sechs Kilo.“ Die neuartige Rahmenkonstruktion mache zudem die Unterscheidung zwischen Damen- und Herrenrädern überflüssig.

Doch obwohl der Fahrrad-Markt mit jährlich fast sechs Millionen in Deutschland hergestellten Velos beträchtlich ist, sind solche Planungen in absehbarer Zeit noch nicht realisierbar. „In den letzten fünf Jahren war das Geschäft sehr lukrativ“, gibt Holstein zu. „Mittlerweile hat der Boom aber schon ein wenig nachgelassen.“ Gerade im Rennsport-Bereich mache sich das bemerkbar.

„Wenn überhaupt, werden sich die Erkenntnisse, die der Rahmen liefert, jedoch im Leistungssport bemerkbar machen“, vermutet Werner Ebner von den Herkules-Werken Nürnberg. „Die Vorteile dieses Modelles lassen sich vor allem beim Zeitfahren ganz deutlich erkennen.“

Die verbesserten Eigenschaften seien für den Normalverbraucher jedoch nicht so frappierend, daß sie den Preis rechtfertigen würden. Da die Produktion in großen Stückzahlen noch nicht absehbar ist, „dürfte ein Rahmen mindestens zwischen 1.500 und 2.000 Mark kosten“, schätzt Ebner. Obwohl die industrielle Produktion nun möglich ist, wird sie nicht sofort anlaufen. Der Grund: Die Anschaffung der dazu erforderlichen Maschinen kostet eine Menge Geld.

Ebner ist dennoch zuversichtlich: „Mit diesem Projekt sind immerhin die Grundlagen für eine wirtschaftliche Massenproduktion gelegt worden.“ Aus dieser Keimzelle werde sich langfristig viel entwickeln, hofft er. Der Verbund- Rahmen wird in den nächsten Jahren vermutlich den langen Weg aus den Labors in den Leistungssport gehen. „Ist er dort etabliert, werden zumindest Kunden mit gehobenen Ansprüchen Interesse entwickeln“, prophezeit Holstein. Ab dann sei es eine Frage der Zeit, bis das technische Wunderwerk zur Massenware wird, die erschwinglich ist.

Doch die Massenproduktion neuartiger Fahrradrahmen stand auch nicht im Zentrum des Forschungsprojektes. „Der Rahmen hat uns auch dazu gedient, neue Fertigungsmaschinen für Faserverbundmaterialien zu entwickeln“, berichtet Pingel. Darüber hinaus wurde das Velo-Modell dazu eingespannt, seinen ärgsten Konkurrenten den Weg zu Bahnen. Der Projektleiter hat nämlich weit mehr als leichte Fahrräder im Sinn: „Die Konstruktion von Bauteilen für Eisenbahnen, Autos und Flugzeuge wird durch dieses Forschungsprojekt auch weitergebracht.“ Neben dem Fahrradrahmen wurden dafür auch ein Propeller und andere Bauteile erstellt.