Der zähe Kampf mit Hägars Nachfahren

■ Parlamentswahlen morgen in Island: „Volkserweckung“ gegen „Frauenliste“

Reykjavik (taz) – Seit dem 28. Mai letzten Jahres regiert Bürgermeisterin Ingibjörg Gisladóttir im Rathaus der Hauptstadt Reykjavik: seit Menschengedenken eine konservative Männerbastion. Der größte sichtbare Erfolg der isländischen „Kvennalistinn“, der 1983 gegründeten weltweit ersten parlamentarischen Frauenpartei. Auch das Staatsoberhaupt ist weiblich: Vor 15 Jahren wurde Vigdis Finnbogadóttir als erste Frau der Welt in direkten Wahlen ins Präsidentenamt gewählt. Island – das gelobte Land politischer Gleichberechtigung für Frauen?

Weit gefehlt. Zwar dürfte es kaum ein Land geben, in dem Frauen traditionell in so hohem Maße die Verantwortung für das Überleben der Familie hatten, da die Männer fast ganzjährig irgendwo auf den Meeren auf Fischfangtouren unterwegs waren und zum Teil noch sind. Politik blieb dennoch Männersache. Gleich neben dem traditionellen Versammlungsplatz des Althing, des Parlaments, auf einer Klippe bei Reykjavik befand sich sinnigerweise der „Dränkgölen“, in dem eigenwillige Frauen als Hexen ertränkt wurden. Und als richtiger Mann gilt in Island nach wie vor nur, wer mehrere Orkanfahrten in fremden Gewässern hinter sich hat. Wer nie „ins Meer gepißt hat“, zählt nicht.

Nirgends in ganz Nordeuropa liegt der Frauenanteil im Parlament mit gerade 20 Prozent so niedrig wie in Island – und davon entfällt auch noch fast die Hälfte auf Sitze der Frauenpartei. Die morgigen Parlamentswahlen dürften daran kaum etwas ändern.

Die herrschende Fischereikrise, die für Island gleichbedeutend mit Wirtschaftskrise ist, verleiht dem Kampf um mehr Gleichstellung nicht gerade neuen Schwung. Arbeitslosigkeit war bis vor drei Jahren in Island ein unbekannter Begriff. Jetzt liegt die Arbeitslosenrate bei Männern bei sieben, bei Frauen bei zehn Prozent.

Mit der Wirtschaftskrise hat auch die „Kvennalistinn“ einen schweren Stand. Ihr ist Konkurrenz durch die von der ehemaligen Sozialdemokratin und Ex-Sozialministerin Johanna Sigurdardóttir gegründete „Thjodvaki“ (Volkserweckung) erwachsen, die in den Meinungsumfragen nicht nur die Sozialdemokraten das Fürchten lehrt, sondern für die Frauenliste den Absturz unter die Sperrklausel bedeuten könnte. Auf Anhieb signalisierten ihr Umfragen 23 Prozent der Stimmen – den Sozialdemokraten gerade noch vier. Jetzt pendeln beide um die zwölf Prozent – eine kleine Revolution.

Bisher geht nämlich nichts ohne die konservative Selbständigkeitspartei von Ministerpräsident David Oddsson. Seit Jahrzehnten spielt diese die politisch erste Geige und ist selbstverständlich an jeder Regierung beteiligt – und sei es in so einem extremen Koalitionsbündnis wie mit der kommunistischen Volksallianz. So bequem und siegessicher ist man geworden, daß man mit der Hauptbotschaft in den Wahlkampf zog, man habe Island schließlich vor dem allseits erwarteten totalen wirtschaftlichen Kollaps bewahrt.

Nach diesen Wahlen könnte es eine linke Koalition geben, aus Sozialdemokraten, Volksallianz, Zentrumspartei und der Newcomerin „Thjodvaki“. Und eben ohne die „Kvennalistinn“, wenn sich die für sie düsteren Prognosen bewahrheiten sollten. Und die Frauenliste? Sollte sie wirklich aus dem Parlament verschwinden, dann hätte sie zumindest mit Ingibjörg Sólrún Gisladóttir eine von Islands tatkräftigsten PolitikerInnen auf den bedeutendsten kommunalen Posten des Landes gehievt. Und, so Präsidentin Vigdis Finnbogadóttir, die durch ihr Präsidentenamt ganz wesentlich zum Erfolg der Frauenliste beigetragen haben dürfte: „Die ,Kvennalistinn‘ war Vorreiterin für wichtige Fragen wie den Umweltschutz und eine größere Gleichberechtigung. Aber ist es nicht paradox, daß es gerade die Frauen sind, die hier in Island ihre Söhne zu diesen Macho-Männern erziehen, gegen die sie dann politisch ankämpfen müssen?“ [Wenn solche dämlichen Sprüche von Frauen kommen, dann wundert mich nix mehr! d.sin] Reinhard Wolff