Ohne dabei dogmatisch sein zu wollen

Das Nebelhorn-Label präsentiert traurig ins Ohr gehende Unplugged-Sessions mit Erich Honecker  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Fünf Jahre sind seit dem Ende der DDR vergangen, doch in den Herzen der Menschen scheint sie lebendiger als je zu sein. Viele trauern ihr nach und hinterher, Westler lachen über sie in den immer häufiger werdenden Dokumentar- Kino-Kompilationen (wie sie sich früher schon über die Trabbis mokiert hatten).

In der Erinnerung hat sich ihr Bild aber mittlerweile verschoben: Während die DDR über Jahrzehnte in den meisten Leit- und Nebenmedien als Nachfolgestaat der Nazis inklusive geplanter KZs denunziert wurde, begegnet man ihr heute häufig nostalgisch oder inszeniert sie als lustige Ramschwitzparty. Eines verbindet jedoch die meisten gegenwärtigen DDR- Inszenierungen – überlegen distanzieren sie sich von ihrem Gegenstand.

Diese Distanz ist gegenüber der Honecker-CD „Das war mein Lebensexil“ kaum möglich. Fast siebzig Minuten spricht der ehemalige Staatsratsvorsitzende über Leben und Sterben des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Die meisten Interviewpassagen stammen aus dem Frühjahr 1990 und wurden (in redigierter und von Honecker autorisierter Form) bereits in dem 1990 bei „Aufbau“ erschienenen Interview- Buch „Der Sturz“ (Andert/Herzberg) veröffentlicht. Es findet sich aber auch der Toast darauf, den Honecker beim Empfang des diplomatischen Corps anläßlich des 40. Jahrestages der DDR gesprochen hatte und – quasi als Zugabe – der Satz vom Lauf des Sozialismus, den weder Ochs noch Esel aufhalten könnten.

Heimatlieder und DDR-Schlager

Zwischen den Texten gibt es die hellen Stimmen einer Moskauer Kindergruppe, Intros seltsamer DDR-Schlager, herzzerreißend glockenhelle FDJ-Lieder: „Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer / Unsre Heimat, das sind auch die Bäume im Wald / (...) und wir lieben die Heimat, die Schöne, / weil sie dem Volke gehört“. Beim „Lied der Partei“ spielen Chor und Orchester des Erich-Weinert-Ensembles der NVA auf.

Das Cover entstand unter Verwendung des mittlerweile legendären Gemäldes eines äthiopischen Künstlers: „Honecker auf Wildschweindecke“. Die CD ist nicht nur strange, sondern superstrange. Wenn man sie hört, erinnert man sich zum einen daran, daß auch dem Westberliner die DDR entfernter war als alle anderen europäischen Staaten, zum anderen an die sprachlichen und kulturellen Verheerungen, die in der DDR stattfanden.

Dabei erscheinen die politischen Einschätzungen des gestürzten Staatschefs, seine Betrachtungen – „ohne dabei dogmatisch zu sein“ – über die „gesamte Angelegenheit“, „die Ereignisse“ und vor allem „die Novemberereignisse“, seine wie man oder er so sagt, ungebrochene Zuversicht auf ein Wiedererstarken des Sozialismus, eher zweitrangig. Regelrecht erschütternd wirken vor allem Stil und immergleiche Stimmlage des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden. Quälend endlos sind die Pausen zwischen den einzelnen Wörtern, die der längst krebskranke Mann steif und in ständiger Angst vor Kontrollverlust aneinanderreiht.

Jedes Wort ist vorformuliert. Er kann und will nicht selbständig sprechen. Die Leblosigkeit seiner in ihrer Hölzernheit nicht minder verkitschten Bürokratensprache, die er ständig mit den Zitaten marxistischer Klassiker vor dem Fall ins Bodenlose absichert, stimmt einen unsagbar traurig: als kontrolliere ein böser kleiner Lehrer in seinem Herzen, ob der Staatschef seine Hausaufgaben auch richtig gemacht hat. Honecker kann nicht anders; hier spricht jemand, der vielleicht die Hälfte seines Lebens, vielleicht länger, vielleicht nie sich traute, selber zu sprechen, der bis ins lächerliche (das berühmte Zitat vom „gepflegten Beat“, gegen den er ja nichts einzuwenden hätte) auf eine eher spießbürgerliche Kultur fixiert blieb; der traurig, verklemmt und nie souverän war. Seine Unfähigkeit, den Verlautbarungsstil der Partei zu verlassen, wirkt wie eine schwere psychische Störung.

Alles was er sagt, ist von einer deprimierenden Hilflosigkeit: der bemühte Sarkasmus, mit dem er dem „Kapitalismus der freien Marktwirtschaft“ ein „oder wie man das auch nennen mag“ hinzufügt, die „unerschütterliche“ Glaubenssicherheit, mit der er „die Verleumdungen, als das zurückweist, als was sie sind“, und in Verbindung damit sich müht, „das Ansehen der Partei- und Staatsführung wieder in den Volksmassen zu festigen“. An die Satzwürmer knüpft auch sein durchgedrehtes Rumspielen mit der Metapher vom „europäischen Haus“ an. Schon damals bei etlichen Staatsbesuchen hatte H. „darauf hingewiesen, daß selbstverständlich für dieses europäische Haus, eine Hausordnung erforderlich ist. Bei allen Möglichkeiten des offenen Fensters und offenen Türen, gibt es ja auch die Möglichkeit, daß man mal alleine sein will, um Aufgaben seiner Familie zu erledigen“ (einen ähnlich irrsinnig anmutenden Metaphernschwachsinn gab übrigens in seiner Jahreswendansprache der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Höppner von sich. Bei ihm drehte sich alles ums „Rad der Geschichte“).

Beschädigte Herrscher und Beherrschte

Zuweilen wird es tragikomisch, wenn Erich Honecker irgendwann betont, er habe dafür gesorgt, „daß bei den Demonstrationen der Staat Staat blieb“, zuweilen völlig niederschmetternd, wenn er verteidigend von Wandlitz spricht: „Was die Behauptungen anbelangt, daß wir in Wandlitz in Saus und Braus gelebt haben, daß wir Wasser gepredigt und Wein getrunken haben, so möchte ich für mich und meine Familie feststellen, daß wir überhaupt keinen Wein getrunken haben. Und erst recht, keinen Wodka und keinen Kognak. Wir haben uns begnügt mit Bier und dem normalen Essen, daß für jeden Bürger der DDR zur Verfügung stand. (...) Ich habe jeden Morgen ein oder zwei Brötchen gegessen mit Butter und Honig. Mittags habe ich im Zentralkomitee gegessen. Entweder gegrillte Wurst mit Kartoffelpüree; Makkaroni mit Speck oder Gulasch. Abends hab ich zu Hause gegessen, etwas Fernseh gesehen und bin dann schlafen gegangen.“

Natürlich spricht hier ein zerbrochener alter, kranker Mann. Die Hilflosigkeit des Ohnmächtigen verdeutlicht aber nur das, was schon in den Reden des Mächtigen angelegt war (und große Teile der gesamten DDR-Sprache verwüstete). Honeckers Sätze belegen, daß die Verhältnisse, für die sie mitverantwortlich sind, nicht nur die Beherrschten, sondern auch die Herrscher beschädigen. Irgendwann sagt er: „Ich muß sagen, das war mein Lebensexil.“ Er sagt es so, als hätte er sein Leben lang vergeblich darauf gewartet, aus diesem Exil zurückgeholt zu werden. Detlef Kuhlbrodt

Erich Honecker – „Das war mein Lebensexil“, 1994 bei Nebelhorn Musik; Stefan Körbel, PF 106 10266 Berlin. Vertrieb: Buschfunk-Vertrieb, Rodenbergstraße 8, 10439 Berlin, Fon/Fax: 030/4447289