Zahn gezogen, Behandlung abgebrochen

■ Kaum waren die Wohnungen in der Dunckerstraße 74 besetzt, verkaufte der Privateigentümer und die Wohnungsbaugesellschaft legte die Verwaltung nieder

„Ich habe kein Interesse daran, daß die WIP in der Öffentlichkeit als Verantwortliche für Leerstand dasteht.“ Der sich solcherart um seine weiße Weste sorgte, heißt Stefan Grzimek, ist Geschäftsführer eben jener WIP, der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg, und war in dieser Eigenschaft bis Dienstag noch Verwalter der Dunckerstraße 74 in Prenzlauer Berg. Blütenrein freilich ging es dort schon lange nicht mehr zu. Dreizehn Wohnungen hatte die WIP-Privatverwaltung Optima im Laufe der Zeit nicht weitervermietet. Im Auftrag der Privateigentümer, wie ein Mitarbeiter den verbliebenen Bewohnern gegenüber unumwunden zugab. Und natürlich im eigenen Interesse. Ohne Fremdaufträge keine Kohle, ohne Willfährigkeit keine Fremdaufträge. Ein ganz alltägliches Geschäft im Verborgenen, ein Deal auf Kosten der Betroffenen, eine bestens organisierte Leerstandskriminalität. Die funktionierte so: Die Eigentümer wollen ein leeres Haus, um teuer zu verkaufen. Die Optima/WIP bekommt Geld für die Verwaltung und beantragt beim Bezirk die Genehmigung des Leerstands. Begründung: Unverhältnismäßig hohe Kosten für die Wiederinstandsetzung der leeren Wohnungen. Das Bezirksamt gibt grünes Licht am grünen Tisch, weil für Ortstermine das Personal nicht reicht. Alltag in Berlin.

Nicht ganz alltäglich war freilich die antikriminelle Energie der Initiative „Wir bleiben alle“ am Helmholtzplatz. Bereits Anfang März hatten die Kiezaktivisten bei einer öffentlichen Begehung darauf hingewiesen, daß die Wohnungen ohne größeren Aufwand zu vermieten seien. Der Auffassung, daß sich die Optima die Leerstandsgenehmigungen beim Bezirk erschlichen hatte, konnte sich auch der Prenzelberger Baustadtrat Matthias Klipp (Bündnis Prenzlauer Berg) nicht mehr entziehen. Er ordnete unter Androhung eines Zwangsgeldes die Wiedervermietung der leerstehenden Bleiben bis 31. März an. Der Forderung der Betroffenenvertretung, gegen die Optima wegen der erschlichenen Leerstandsgenehmigung ein Bußgeld zu verhängen, wollte Klipp allerdings nicht nachkommen.

Als am vergangenen Montag noch immer nichts geschehen war, holten mehrere Wohnungssuchende zu einem weiteren Seitenhieb gegen die organisierte Leerstandskriminalität aus. Während eines runden Tisches gegen den Leerstand wurden die leerstehenden Wohnungen in der Dunckerstraße 74 besetzt. WIP-Geschäftsführer Grzimek blieb, wollte er seine weiße Weste nicht gegen einen schwarzen Schafspelz tauschen, nichts anderes übrig, als die Besetzer in den Wohnungen zu lassen.

Kaum waren die Besetzer jedoch am nächsten Tag bei der Optima/WIP, um über Mietverträge zu verhandeln, mußten sie erfahren, daß das Haus verkauft sei. Kurz darauf hatte die WIP die Verwaltung niedergelegt.

Für den „geordneten Rückzug“ der organisierten Leerstandskriminellen hat die Initiative „Wir bleiben alle“ freilich kein Verständnis: „Zieht ein Zahnarzt einem Patienten die Zähne und bricht dann die Behandlung ab, verliert er seine Zulassung“, lautet der Kommentar. Wer wem in der Dunckerstraße 74 noch Zahnschmerzen bereitet, darf getrost abgewartet werden. Die Wohnungen jedenfalls bleiben bis auf weiteres besetzt. Und die Initiative „Wir bleiben alle“ wird weiter nachbohren. Die Verzahnung Privateigentümer und Wohnungsbaugesellschaft birgt schließlich noch manchen hohlen Zahn. Uwe Rada