■ Nebensachen aus der Nähe von Rom
: Schwarze Sheriffs

Das Gesicht Pietros und seines Nachbarn Guido sandte deutliche Signale konspirativer Hintergründelei. Ob ich mal, so gegen halb neun, „wenn's dunkel geworden ist“, zu ihm nach Hause kommen könnte, fragte er. Da wollten sich „ein paar erprobte Leute treffen und zusehen, was man da machen kann, so, du weißt schon ...“ Er macht ein Zeichen, dessen Bedeutung ich als Mischung zwischen Halsabschneiden und Erschießen interpretierte. Wieder murmelte er: „Weißt schon.“ Darauf folgt das Zeichen für „Klauen“.

Gegen halb neun ist es freilich noch nicht ganz finster, und so bin ich der erste. Gegen neun Uhr treffen drei, vier weitere Männer ein, alle mit deutlich geballter Faust in der Tasche. Gegen elf Uhr sind wir an die dreißig, und der Lärm in der Garage ist heftig. Bis jemand sagt: „Und wenn die draußen zuhören?“

In der Tat, das scheint gefährlich, und sofort verstummt das Stimmengewirr. „Die da draußen“ – das sind nämlich die Bösen, gegen die es Front zu machen gilt: Diebe, die in den letzten Wochen frech und ungeniert den Bauern das Teuerste zu nehmen begonnen haben, was die besitzen – Traktoren und Fräsmaschinen, Sensen und Milchkübel. In zwei Fällen hat eine Frau eins über den Kopf gekriegt.

Nun soll also, da sich Anrufe an Polizei und Carabinieri als weitgehend wirkungslos erwiesen haben, Selbstschutz geübt werden. In Zweiergruppen, so der Vorschlag Pietros, werden wir zwischen elf und vier Uhr nachts die gut sechs Kilometer Straße entlang patroullieren. Das würde bei den 30 vorhandenen Diskussionsteilnehmern jeden alle vierzehn Tage einmal treffen. „Ausgezeichnet“, die Runde ist sich einig.

Bleibt die Frage: Was machen wir, wenn wir einen Verdächtigen ausmachen? Stellen? Laut Hupen? Die Runde schweigt, der Zuzügler aus Deutschland stellt schon wieder mal Fragen von übermorgen. „Die Polizei anrufen“, meint einer. Wenn die aber, wie bereits erlebt, nicht kommt? – Jaaa – „Vielleicht sollte man doch die Flinte ...“, schlägt Enzo vor, der eine Landmaschinenvertretung mit teuren Traktoren und Mähdreschern zu verteidigen hat, und dem schon mal die Schrotladung auf unschuldige Passanten „herausgerutscht“ ist, wie er sich vor Gericht gerechtfertigt hat. Nein, nein, also Waffen auf keinen Fall. Denn: „Die anderen schießen bestimmt schneller und besser als wir.“

Gut so, ich habe sowieso keine Waffe. „Waas? Du hast kein Gewehr?“ Ungläubiges Staunen. „Und da lebst du in dieser Straße? Hast Frau und Kinder?“ Deutlich ist zu spüren, daß mit diesem Idioten bestimmt keiner Streife fahren will.

Ist aber auch nicht nötig. Denn längst hat sich die Diskussion gewendet. „Was passiert nun aber“, sagt ein gewisser Carlo, „wenn unsereins grade auf Patrouille ist, und bei ihm wird eingebrochen?“ An das hatte noch gar keiner gedacht. Carlo hätte da einen Vorschlag: „Besser ist da einfach eine gute Diebstahlsversicherung.“ Da freilich platz Gerardo, Futtermittelverkäufer, heraus: „Das täte dir so passen, daß alle bei dir jetzt eine neue Police abschließen.“ In der Tat: Carlo ist Versicherungsvertreter. Gianni, ein Mittdreißiger, hat eine andere Idee: die Anschaffung von Notruftelefonen für jedes Haus, mit denen man per Knopfdruck alle anderen alarmiert. Zu dumm, daß auch hier Privatinteresse mitwirkt: Gianni ist Eigner eines Elektronikgeschäfts und vertreibt just diese Telefonsorte.

Von nun an geht's Mann gegen Mann. Enzo wird verdächtigt, Patrouillen nur zum Schutze seiner Traktoren zu wollen. Ottavio, der die Anschaffung von Leuchtraketen vorschlägt, soll neapolitanische Verwandte im Feuerwerksgeschäft haben. Ernesto, der Schäferhunde empfiehlt, hat einen Schwager, der diese züchtet. Die Versammlung löst sich im Streit auf.

Am Ende bleibe ich mit Pietro alleine. „Siehste“, sagt er, „genau das, was ich erwartet habe.“ Warum hat er's dann aber versucht? „Naja“, sagt er, „irgendwas muß man ja tun.“ Recht hat er. Eine Nacht lang sind wir jedenfalls alle wach geblieben. Und niemand hat eingebrochen, obwohl keiner von uns zu Hause war. Werner Raith