Kreuzberg – vom Kiez zur Solarpolis

■ Im einstigen Szene-Bezirk blüht mittlerweile der ökologische Wirtschaftssektor

Kreuzberg will sein Image aufpolieren. Die Vorstellung vom steineschmeißenden 1.-Mai-Demonstranten hat bislang so manchen Investor davon abgehalten, in dem von knapp 20 Prozent Arbeitslosigkeit geprägten Bezirk wirtschaftlich tätig zu werden. Seitdem die Gelder der Berlin-Förderung nicht mehr fließen, wanderten zudem mehrere Firmen ins Umland ab: Schultheiss-Bier wird nicht mehr in Kreuzberg gebraut, und auch der Elektronik-Riese DeTeWe verlagerte Hunderte von Arbeitsplätzen vor die Tore Berlins. Gleichzeitig haben kleinere und mittlere Betriebe hart zu kämpfen. Seit 1992 haben sich die Konkurse gehäuft.

Um das ökologische High-Tech seines Bezirkes zu fördern, fahren über ein Dutzend Firmen unter der Schirmherrschaft des Kreuzberger Bezirksamtes zwischen dem 3. und 8. April zur Hannover-Messe, die dieses Jahr unter dem Motto „Regenerative Energie“ steht. Mit Tempodrom-Neubau und Blockheizkraftwerken will der Bezirk zeigen, daß er inzwischen zur „Solarpolis“ aufgestiegen ist.

„Die alternative Bewegung ist fruchtbar geworden“, findet Stefan Krautschick, Pressesprecher des Kreuzberger Bezirksamtes. In seinen Augen blüht der ökologische Wirtschaftssektor längst, allerdings „im verborgenen“. Die räumliche Konzentration der Öko- Technik-Firmen sei in dieser Art einmalig in Deutschland. Für die Zukunft könne er sich vorstellen, daß die mittelständischen Unternehmen auch Chip-Produzenten beliefern.

Doch nur mit ökologischem High-Tech ist den Strukturproblemen des Bezirkes nicht beizukommen. „Zwei Drittel der Arbeitsstellen im Bezirk sind im Bereich der Dienstleistungen zu finden, nur ein Drittel im produzierenden Gewerbe“, erklärt Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder (SPD). „Das Problem ist, daß die Bevölkerungsstruktur genau anders herum aufgebaut ist“, umreißt er den Konflikt seines Bezirkes.

Ginge es nach dem Bürgermeister, würde jetzt die Renaissance des ehemaligen Mauerbezirkes eingeläutet. Vom Mythos Kreuzberg soll Abschied genommen werden, die alte City könnte wieder zum wirtschaftlichen Zentrum aufsteigen. Strieders Programm: „Die kleinen und mittleren Betriebe zu halten ist unsere erste Aufgabe.“ Ein Auge geworfen hat er dabei vor allem auf die Unternehmen, die von kurzen Wegen innerhalb des Kiezes profitieren und den Absatzmarkt Berlin beliefern, „weil die Randwanderung der großen Unternehmen kaum aufzuhalten ist“.

Vernetzung von modernen Ingenieurs- und traditionellen Handweksbetrieben ist die Zauberformel, mit der die Wirtschaft des Bezirks aufgepäppelt werden soll. Bürgermeister Strieder denkt dabei eben auch an das Potential der neuen Technologien im ökologischen Bereich. „Wir müssen mehr mit dem Pfund wuchern, das die Studierenden in den Achtzigern nach Kreuzberg getragen haben“, meint Strieder und denkt dabei an erfolgreiche Unternehmen wie „Atlantis“ und „Südwind“.

Die Öko-Unternehmen indes freuen sich, daß sich endlich auch die regionalen Politiker für die Verbreitung der regenerativen Energietechnologie einsetzen. Solche Firmen bauen Windkrafträder und installieren Solarzellen auf Kreuzberger Dächern, entwerfen Computerprogramme und wärmedämmende Isolierungen von Gebäuden. Dabei sind sie tatsächlich erfolgreich: „Atlantis“ hatte im letzten Jahr einen Umsatz von 18 Millionen Mark, „Südwind“ baut inzwischen mit zwanzig Mitarbeitern seine Windkrafträder.

In der Förderung von innovativen neuen Arbeitsplätzen und des Dienstleistungssektors sieht Wulf- Jürgen Peter, CDU-Bezirksstadtrat für Wirtschaft, die Zukunft Kreuzbergs. Daß dadurch alte Kiezstrukturen zerstört werden könnten, glaubt er nicht. „Die sozialen Spannungen werden in den nächsten Jahren wohl nicht zunehmen“, spekuliert er. Und auch Strieder meint: „Eine Yuppiesierung des Bezirks sehe ich nicht“. Christoph Dowe