■ Zum Tod von Hanns Joachim Friedrichs
: Den hat das Medium nicht verbogen

„Das war's. Sie werden, am Ende eines langen Abends, müde sein – wir sind es sicher auch“, rollt die sonore Stimme aus dem Sichtraum; die Abmoderation der 1961er Wahlsendung hatten wir noch irgendwo im Regal liegen. „Was machst du denn mit dem alten Hajo?“ – „Nachruf“, antwortet der Kollege am Sichtgerät. „Soll ihm plötzlich so schlechtgehen, muß schnell fertig werden.“

Das nun bitte doch nicht. Auch wenn er selbst solch vorauseilende Trauerarbeit professionell angeordnet und durchgezogen hätte. Aber ihn jetzt anzurufen: „Herr Friedrichs, die Kollegen arbeiten an Ihrem Nachruf, wie geht's denn so?“ – das geht nicht. Ein paar Tage darauf erfuhr es die Nation, und mit einem guten Teil Respekt vor dem Publikum entschied er: Dann sollen sie es von mir selbst erfahren. Und verabschiedete sich im Spiegel.

Ein Vorbild ist so etwas wie ein Mensch anstelle einer Theorie: Daß der Sohn einer Offiziersfamilie mit dem Säbel durch den Sender schreiten muß; daß die Briten es gut meinten, als sie Staatsferne in junge Journalistenköpfe säten nach dem Krieg. Daß die berufliche Herausforderung eines Kriegsschauplatzes, etwa Vietnam, nicht heißt, vor Ort den Helden zu geben. Daß die Liebe zum Beruf der einzige Kompaß ist, wenn Kollegen staunen: was will der Nachrichtenmann beim weniger karrierefördernden Sport? Daß dieser Kompaß erst recht not tut, wo zwischen Parteibuch, Anpassung, Geld und Eitelkeit alle Nadeln wirr kreiseln, am magnetischen Pol des Fernsehjournalismus, den Tagesthemen, etwa. Aus Amerika hatte er die Idee, „so war das heute“ zu sagen am Ende der Nachrichtensendung. „Habe ich nach einer Woche drangegeben“, erzählt Friedrichs. Wohl war er eitel, sonst wäre er nicht in dem Beruf gelandet, sonst hätte er in dem Beruf nicht landen können. Aber eben nicht so sehr, sich und seine Art für wichtiger zu halten als das, worum es ging. „Die Mauer ist offen“ – das konnte man nicht schlichter und damit auch nicht besser sagen.

„Es gibt in dem Beruf nur zwei Möglichkeiten: zu berichten aus der Perspektive der Regierenden – oder aus der der Regierten. Ich habe mich an letztere gehalten.“ Das ersetzt lange Vorträge, krude Theorien. Und: „So hat der Friedrichs das gesagt.“ Das überzeugt Vorgesetzte. Er hat von der Kanzel des Tagesthemen-Hochamts nicht zum Umsturz aufgerufen. Doch wer ihm diesen populären Blickwinkel auf die Ereignisse des Tages nicht ließ, dem hat er sich widersetzt, da hat die ARD ihm die Rolle des „moderierenden Chefredakteurs“ erfinden müssen, damit ihm keiner mehr reinreden kann.

Selten ist, daß die Rolle vor der Kamera nur die Verdichtung des Menschen dahinter ist. Ein Rudel Berufszyniker, die täglich Dutzende Sensationen gelassen gähnend vorbeirauschen lassen: plötzlich im Halbkreis geschart um einen älteren Herren, der kaum lauter als im Studio nach und nach die halbe Kneipe unterhält. Da war mal einer, den hat das Medium im Leben nicht verbogen, und – die reißerischen Schlagzeilen verblassen – im Sterben auch nicht. Nun ruft er nicht mehr an, um ein Talent zu empfehlen, das er fördern möchte. Und man kann ihn nicht mehr anrufen. An seinem Todestag schneit es. Einmal beendete er seine Sendung mit diesem Hinweis auf den Wetterbericht: „Morgen wird es auch wieder ein Wetter geben – vielleicht sogar dieses.“ Friedrich Küppersbusch

Der Autor moderiert das wöchentliche TV-Magazin „ZAK“ (WDR), eine neue Form des bissigen Nachrichtenjournalismus.