Von der Angemessenheit der Mittel

■ Die Europäische Union reagiert zögerlich und zwiespältig / Parlamentsabstimmung über die Zollunion im Oktober

Die türkische Großoffensive im Norden Iraks hat die Europäische Union in schwere Verlegenheit gebracht. Gerade zwei Wochen ist es her, daß die 15 Außenminister der EU den Vertrag über die Zollunion mit der Türkei abgesegnet haben – gegen die Bedenken des Parlamentes, das auf die Menschenrechtslage in der Türkei verwiesen hatte. Die ersten Reaktionen auf die erneute Militäraktion sind entsprechend zurückhaltend bis widersprüchlich.

Der französische Außenminister Alain Juppé, der als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender die Außenpolitik der Union leitet, hat heftige Kritik an der Offensive geübt. So jedenfalls melden es die Presseagenturen. Die Türkei verletze die territoriale Integrität des Irak und verstoße damit gegen die Prinzipien des Völkerrechts. Ein Sprecher der Kommission sagte dagegen gestern in Brüssel, Juppé habe lediglich betont, daß die EU auf der Achtung der territorialen Integrität aller Länder bestehe. Diese Äußerung, so der Sprecher weiter, dürfe nicht isoliert gesehen werden. Denn Juppé habe auch gesagt, daß die PKK eine terroristische Organisation sei, die, so wörtlich, „eliminiert werden muß“. Nach Angaben des Sprechers werde diese Position auch vom zuständigen EU-Kommissar Hans Van den Broek geteilt.

Van den Broek wird heute mit den Außenministern Frankreichs, Deutschlands und Spaniens nach Ankara reisen. Danach werde man beraten, so der Kommissionssprecher, und über weitere Schritte nachdenken. Er ließ durchblicken, daß das Überschreiten der irakischen Grenzen allein noch nicht zu einer Verurteilung ausreiche. Entscheidend sei, ob neben PKK- Kämpfern auch Zivilisten getötet würden und ob von der Türkei die Angemessenheit der Mittel gewahrt werde.

An ein Einfrieren der Zollunion sei nicht gedacht, hieß es dazu aus der deutschen EU-Vertretung. Schließlich müsse der Vertrag noch vom Europäischen Parlament gebilligt werden, das dem Abkommen wegen der Menschenrechtsverletzungen derzeit nicht zustimmen würde. Sowohl die Grünen als auch die Sozialdemokraten im Europaparlament verurteilten die türkische Militäraktion als eklatanten Bruch des Völkerrechtes. Beide Fraktionen werfen dem Ministerrat vor, die Zollunion beschlossen zu haben, obwohl das Europaparlament sich mit großer Mehrheit dagegen ausgesprochen hat. Die Grünen wollen für nächste Woche eine Dringlichkeitsdebatte beantragen und fordern eine eindeutigere Haltung der EU. Werner Langen von der CDU sieht den Fortgang der Zollunion „erschwert“ und verlangt von der Türkei Aufklärung. Das Europaparlament wird voraussichtlich im Oktober über die Zollunion entscheiden. Alois Berger, Brüssel