Seeräuber schikanieren Angler

Kanadische Behörden enterten spanisches Fangschiff vor Neufundland / EU spricht von Piraterie und erwägt Strafmaßnahmen  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

„Kappt die Taue, volle Kraft voraus – Kurs auf Spanien!“ So oder so ähnlich lautete der Befehl, den der Kapitän des spanischen Trawlers „Estai“ am Donnerstag abend seinen 26 Männern gab. In einer Verzweiflungstat befreit man sich von den Entertauen des Marinebootes „Cape Roger“. Spanien ist weit, und die vier Verfolgerboote der kanadischen Küstenwache und Marine ganz nah. Zu Hause im galizischen Vigo hängen die Kollegen von der Fischereikooperative verzweifelt am Funkgerät. Hilferufe werden herausgeschickt und die EU-Fischereikommissarin Emma Bonino eingeschaltet. Die Politikerin zögert nicht lange. Während 245 Seemeilen vor Neufundland der bedrängten „Estai“ fünf weitere Fangboote zu Hilfe eilen, tritt Bonino in Brüssel vor die eilig zusammengerufene Presse. Als „einen Akt der organisierten Piraterie“ verurteilt sie die Aktion Ottawas. Auf offener See spitzt sich derweilen die Lage zu. Der Kapitän greift erneut zum Funkgerät: „Wenn die anfangen, scharf zu schießen, hab' ich keine andere Möglichkeit, als die Maschine abzustellen, obwohl ich mich in internationalen Gewässern befinde.“ Noch im selben Augenblick wird das Unverstellbare wahr: Vier Granaten setzt man der „Estai“ vor den Bug. Der Trawler wird gestürmt, die Besatzung samt Kapitän in Handschellen gelegt und in den Hafen St. Johns auf Neufundland verbracht.

Brüssel: „Wir können auch anders“

Es ist 11 Uhr abends, fünf Stunden Verfolgungsjagd haben ihr Ende gefunden – keine Szene aus einem Film über Drogenschmuggel auf hoher See, sondern der Kampf um ein paar Tonnen Fisch. Die Auseinandersetzung gärt schon lange. Kanada und die EU streiten sich seit September 94 um die Fangquoten für Steinbutt. Die 40 spanischen Fangboote und eine Handvoll Portugiesen treten seit Jahrzehnten in ihren Nußschalen die wochenlange Reise über den Atlantik an, um in den Gewässern zwischen Neufundland und Grönland ihr Glück zu suchen. 40.000 Tonnen Steinbutt fing man im Schnitt. Die Nordatlantische Fischereiorganisation (NAFO) spielte bis letztes Jahr mit – bis bei der Neufestsetzung der Quote für 1995 der große Schlag kam: 27.000 Jahrestonnen, davon 60 Prozent für Kanada und 12,6 Prozent, ganze 3.400 Tonnen, für die EU.

Brüssel legte Protest ein und machte von seinem Recht Gebrauch, eine autonome Gegenquote festzulegen: 18.630 Tonnen. Kanada ging zum Gegenangriff über: zweimonatiger Fangstopp für Steinbutt und Marineboote zur Kontrolle der Hoheitsgewässer. Wo die enden, scheint man in Ottawa anders zu sehen als in Brüssel, wie das Aufbringen der „Estai“ zeigt. Die kanadische Regierung fühlt sich im Recht; die Europäer würden die Fischbänke im Norden grundsätzlich überfischen. Das sei nicht nur beim Steinbutt, sondern auch beim grönländischen Heilbutt und beim Kabeljau so.

Kanadas Minister Brian Tobin zeigt nicht die geringste Neigung, sich zu entschuldigen und das gekaperte Boot herauszugeben. Mit den Worten „Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß der spanische Kutter erfolgreich festgesetzt wurde“, beglückwünschte er die kanadische Marine. Die EU wird eine sofortige Dringlichkeitssitzung der NAFO beantragen, um eine Eskalation zu verhindern. Doch man scheint am möglichen Erfolg der Diplomatie zu zweifeln. EU-Fischereikommissarin Bonino drohte gestern: „Wenn Kanada seine Aktion nicht einstellt und sich weigert, die internationalen Regeln zu beachten, ist die EU verpflichtet, andere Maßnahmen ins Auge zu fassen, um ihre legitimen Rechte zu verteidigen.“