■ Normalzeit
: Forschungspragmatische Glücksfälle

Als ein solcher gilt den Sozialwissenschaftlern z.B. die „deutsche Einheit“, um die sich insbesondere die „Transformationsforschung“ bekümmert. Darin gibt es „Dritte-Weg-Anhänger“, die von einer „Differenz zwischen Demokratie und Marktwirtschaft“ (H. P. Krüger) ausgehen bzw. von einer „doppelten Modernisierung im Osten“ sprechen (D. Klein). Ferner die „Varianten“-Aufspürer, die eine „nachholende Modernisierung“ am Werk sehen (W. Zapf/J. Habermas). Die reinen Optimisten, die Entwicklungschancen im Osten beobachten, welche auf den Westen zurückwirken (G. Lehmbruch/H. Wiesenthal/R. Czada). Die Pessimisten, die alle Ostler im wesentlichen für eine von Partei und Staat „entsubjektivierte“ Masse halten (F. Adler), die mit feinen Pinseln aus Kamelhaar arbeiten – und sich auf „die kleinen Lebenswelten“ konzentrieren (M.Thomas). Und die Tatbestands-Feststeller, die vor allem die „Wiedererstehung der Differenz nach der Einheit“ betonen (H. Bude).

Dagegen sehen vom deutschen Wiederholungszwang ausgehende Forscher die Mehrheit der DDR-Bürger als „unconditional surrender“ an (K.v. Beyme). Andere Dialektiker gehen davon aus, daß die Partei noch in ihrem Scheitern den Glauben gestärkt habe, daß alle gesellschaftlichen Mängel und Leiden politisch verursacht seien (M. Lepsius). Wobei es eine Aufgabentrennung gegeben habe: Was die Partei für die Gesamtgesellschaft, war der Betrieb für die konkrete Lebenswelt – sozialer Ort der Vergesellschaftung (J. Roesler). M. Kohli weist darauf hin, daß Karrieren nicht über Vermögen, sondern nur über das Bildungssystem möglich waren.

Für die nach 1955 Geborenen wurde jedoch das Leben dann eng (K. U. Mayer). H. Zwahr unterscheidet die pragmatisch gefügige „Durchhaltegeneration“, die von der verpaßten Chance des Prager Frühlings gezeichnete „Volker-Braun-Generation“ und dann „nur noch Namen“ wie Sascha Anderson und Katrin Krabbe. Über allen thronten die erstarrten Repräsentanten der „Weimarer Generation“. Und dann all die in den Westen Gegangenen, die nicht vergessen werden konnten. L. Niethammer spricht von einem regelrechten „Verlassenheitssyndrom“ unter den Dagebliebenen. Wobei sie jetzt auch noch mit ihrer Vergangenheit (Stasi) „allein zurechtkommen“ müssen (H. Bude).

Dieser Differenzierung in der Ost-Forschung korrespondiert eine ebensolche in der (globalen) Westforschung. U. von Weizsäcker meint z.B.: „Es muß dritte Wege geben – jenseits von Kapital oder Bürokratie“. C. F. von Weizsäcker hält den Status quo für optimal, nur müsse sich die Politik zu ihren „demokratisch regulierten Eingriffen“ offensiv bekennen. „Wir überfordern den Markt“, behauptet dagegen R. Soltwedel, der alles tun will, um „mehr Zutrauen zu Marktmechanismen zu schaffen“. Demgegenüber hegt R. R. Volz die „Kernidee: Wirtschaftssysteme können auch nebeneinander existieren“.

Noch weiter gehen die „Kommunitaristen“, die zurück zu kleinen, überschaubaren Wirtschaftseinheiten wollen, zu einer Kommunen- und Kiezökonomie im Sinne einer Doppelherrschaft, mit eigenem Geld und enger Verzahnung von Gemeindeverwaltung und Unternehmertum. Ihre Ideen berühren sich mit den rätekommunistischen Vertretern eines „zweiten Arbeitsmarktes“, die für ABM-Projekte und Fördermittel für Arbeitslosen-Initiativen immer mehr Geld vom Staat einfordern und denen vor allem die Bewegung bzw. die (wachsende) Unzufriedenheit alles ist. Im übrigen sitzen bereits die meisten der oben erwähnten „Transformationsforscher“ auf ABM-Stellen. Helmut Höge