„Schlegelberger begann zu essen“

■ Ein Zeitzeuge über sein Treffen mit Schlegelberger 1944

Hartwig Schlegelberger war als Marinestabsrichter und als Vertreter der Anklage teilweise auch an der Verhängung von Todesstrafen beteiligt. Dr. Helmut Minkowskis Bruder Herbert wurde 1944 von Schlegelberger zu einer Zuchthausstrafe verurteilt.

taz: Warum wurde ihr Bruder verhaftet?

Dr. Minkowski: Mein Bruder hatte sich mit Hilfe eines zweiten Urlaubsscheines, den er von seinem Vorgesetzten bekommen hatte, ein zweites „Führerpaket“ besorgt. Das war eine Zuwendung an Fronturlauber, mit denen sie ihren Angehörigen eine Freude machen sollten. Das „Führerpaket“ mit Lebensmitteln hatte vielleicht einen Warenwert von zehn Mark.

Ihr Bruder wurde erwischt?

Am Bahnhof Friedrichstraße. Einer der ausgebenden Diensthabenden erinnerte sich an meinen Bruder, als er zum zweitenmal auftauchte. Mein Bruder war nicht verlegen um Antworten, und bald gab es einen munteren Wortwechsel über den Kriegsverlauf. Er regte sich über die Dürftigkeit des Führerpaketes auf und sagte etwas zu den Kriegsaussichten der Deutschen. Er wurde festgenommen wegen „Wehrkraftzersetzung“. Ich schaltete einen Anwalt ein.

Was sagte der Rechtsanwalt?

Er sagte, daß die Behandlung des Falles nicht leicht werde, wegen der gemachten Äußerungen. Man habe es mit einem Richter zu tun, der für seine nationalsozialistische Einstellung bekannt sei.

Sie suchten Schlegelberger auf?

Ich sprach in der Witzlebenstraße [ehem. Kriegsgericht, d. Red.] etwa eine halbe Stunde mit Schlegelberger. Ich wollte mich für meinen Bruder einsetzen.

Was sagte Schlegelberger?

Er sagte dem Sinn nach, daß mein Bruder sich für einen Soldaten ungehörig über die Kriegsaussichten geäußert habe. Eine solche destruktive Gesinnung könne nur mit einem Todesurteil geahndet werden. Während er das sagte, packte er sein Frühstück aus und begann zu essen, während er gleichzeitig von der Güte und Größe des Führers brabbelte. Das werde ich nicht vergessen, weil ich Schlegelbergers Verhalten als menschenverachtend empfand.

Was geschah mit ihrem Bruder?

Er wurde nur zu einer Zuchthausstrafe verurteilt, weil der Rechtsanwalt ihn erfolgreich als „alten Kämpfer“ darstellte, der bereits in den frühen Dreißigern an den Saalschlachten der Nazis teilgenommen hatte. Später mußte er noch etwa zwei Monate in dem Himmelfahrtskommando eines Strafbataillons an der zusammenbrechenden Front zubringen. Er starb vor einigen Jahren in Kanada. Interview: Christoph Dowe