Kein Landerwerb für Emigranten

■ Kaum einer der Exil-Litauer war nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit bereit, seinen amerikanischen Paß zurückzugeben, um wieder Litauer zu werden

In allen drei baltischen Staaten ist die doppelte Staatsbürgerschaft bis heute formal ausgeschlossen. Bei der Wiederherstellung der Unabhängigkeit der drei Länder, die 1940 von der Sowjetunion annektiert worden waren, haben die Gesetzgeber allerdings für Zehntausende von Exil-Balten, die nach Nordamerika ausgewandert waren, Ausnahmen machen müssen. In Litauen wurde die neue Staatsbürgerschaft anfänglich nur den tatsächlichen Einwohnern der ehemaligen litauischen Sowjetrepublik erteilt. So bekamen auch zugewanderte Russen, Weißrussen und Ukrainer, die rund zehn Prozent des 3,6 Millionen Einwohner zählenden Landes ausmachen, die neuen grünen Pässe. Die doppelte Staatsangehörigkeit wurde zum großen Verdruß der rund sechzigtausend Exil-Litauer jedoch untersagt. Dem Gesetz zufolge dürfen nur Bürger Litauens Land erwerben. Ein nach Amerika ausgewanderter ehemaliger Litauer, der sein Haus zurückerhalten wollte, mußte zwangsläufig seine amerikanische Staatsbürgerschaft aufgeben – ein Schritt, zu dem sich kaum einer durchringen konnte.

Erst nach massivem Druck der wohlhabenden und einflußreichen Exil-Litauer wurde das Staatsbürgerschaftsgesetz geändert: Jetzt wird die doppelte Staatsbürgerschaft bei allen Bürgern sowie deren Kindern, die zwischen 1940 und dem 8. März 1990, dem Tag der Wiederherstellung der Unabhängigkeit, das Land verlassen haben, toleriert. Das gilt allerdings nicht für die Enkel. Auch Bürgern der litauischen Vorkriegsrepublik – vor allem Polen, die unter Stalin aus Wilna nach Polen vertrieben worden waren, oder Juden, die nach Israel ausgewandert sind, steht dieses Recht nicht zu: In Vilnius fürchtet man einen Ausverkauf der Hauptstadt, die einst eines der bedeutendsten jüdischen Zentren Osteuropas war und einen mehrheitlich polnischen Einschlag hatte. In Lettland und Estland, wo die neue umstrittene Staatsbürgergesetzgebung nur den Einwohnern der Vorkriegsrepubliken und deren direkten Nachkommen das Recht auf die örtliche Staatsbürgerschaft gibt, ist die doppelte Staatsbürgerschaft offiziell verboten, wird aber bei Exil-Letten und Exil-Esten zähneknirschend toleriert. Lettische Emigranten können bis zum 1. Juli dieses Jahres Antrag auf die lettische Staatsbürgerschaft stellen und ihre im Exil erhaltene Staatsbürgerschaft behalten. Im Parlament in Riga sitzen derzeit über zehn Letten, die im Exil waren, von denen bisher keiner seine zweite Staatsbürgerschaft aufgegeben hat – schließlich kommt man mit einem amerikanischen, britischen oder deutschen Paß leichter in der Welt herum als mit einem lettischen.

Eine russisch-lettische doppelte Staatsbürgerschaft schließt Ugis Sulcs, der Direktor des Einwohnermeldeamtes in Riga, aber aus. „Eine andere Staatsangehörigkeit, die nach dem 4. Mai 1990 (dem Tag der Unabhängigkeitserklärung) angenommen wurde, zieht automatisch den Verlust der lettischen Staatsbürgerschaft nach sich“, erklärt er. Das heißt im Klartext: Einwohner Lettlands, das formal erst 1991 das Erbe der Sowjetunion antrat, haben fast keine Möglichkeit, die doppelte Staatsbürgerschaft zu erhalten. Darüber hinaus sind die meisten der rund 600.000 Nicht-Letten zur Zeit Staatenlose und tragen weiterhin den alten roten sowjetischen Paß, der von immer weniger Ländern als Reisedokument anerkannt wird. Seit dem 1. Februar kann ein Teil von ihnen Antrag auf die lettische Staatsbürgerschaft stellen. Doppelte Staatsbürgerschaft ist allerdings ausgeschlossen – der lettische Paß wird nur ausgegeben, wenn die russische Botschaft in Riga bestätigt, daß die betreffende Person nicht gleichzeitig Bürger Rußlands ist. In Estland, wo soeben ein neues Gesetz verabschiedet wurde, das die doppelte Staatsbürgerschaft untersagt, haben bisher rund 50.000 zugewanderte Nicht-Esten die estnische Staatsbürgerschaft erhalten, während sich rund 60.000 für die russische entschieden haben. Da die russische Botschaft sich weiterhin weigert, den estnischen Behörden eine komplette Liste der russischen Bürger in Estland zu unterbreiten, kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß einige Estland-Russen im Besitz von zwei Pässen sind und je nach Bedarf vorzeigen. Matthias Lüffkens, Vilnius