Im Ansatz steckengeblieben

Belgien hatte einen radikalen Ökosteuer-Ansatz gewählt / Lediglich eine Steuer auf Einwegrasierer und -kameras blieb davon übrig  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Vor eineinhalb Jahren bereits hatte die belgische Regierung angefangen, umweltschädliche Produkte so hoch zu besteuern, daß sie niemand mehr will. Diese Ökosteuer wirkt: Einwegrasierer und Fotoapparate zum Wegschmeißen sind inzwischen weitgehend vom belgischen Markt verschwunden. Umgerechnet 50 Pfennig Steuern werden für jeden Einmal-Rasierer fällig und 7,50 Mark für die Billig- Pappkameras. Die Regierung in Brüssel hat damit den radikalsten Ökosteuer-Ansatz in ganz Europa gewählt – und ist im Ansatz steckengeblieben.

Ursprünglich sollten vor allem Plastikflaschen mit einer abschreckenden Steuer belegt werden. Für alle anderen Verpackungen, für Batterien, Pestizide, aber auch für Zeitungspapier war eine Steuer geplant, die Verbraucher und Hersteller zumindest zur Einschränkung anregen sollte.

Die konservativ-sozialistische Koalition in Brüssel hatte das Programm bei den belgischen Grünen abgeschrieben. Grund dafür war aber keineswegs ihre Liebe zur Natur, sondern die chronische Finanznot der Wallonen. Seit Belgien 1989 in drei nahezu selbständige Regionen aufgespalten wurde, kämpft vor allem die verarmte französischsprachige Region im Süden ständig gegen den finanziellen Kollaps. In dieser Situation fand die Zentralregierung Gefallen an der Idee der Grünen, die überbordenden Kosten für die Abfallbeseitigung mit einer Ökosteuer aufzufangen.

Am Anfang waren auch alle begeistert; Politiker von links bis rechts lobten das Vorhaben. Aber dann warf die Industrielobby ihre Maschinen an – an der Spitze der belgische Chemiemulti Solvay, der unter anderem von der Produktion von PVC und Plastikflaschen lebt. Im März 1993 erlebte Belgien die erste Demonstration, bei der Fabrikbesitzer, Manager und Arbeiter gemeinsam gegen die Regierung protestierten.

Gleichzeitig ließ das traditions- und einflußreiche Chemieunternehmen seine Verbindungen in die Politik spielen, wies öffentlich auf die Bedeutung des alteingesessenen Unternehmens für Belgien hin und stauchte hinter verschlossenen Türen konservative wie sozialistische Politiker zusammen. Es ginge nicht an, so das Hauptargument der Industrie, daß der Staat über die Steuern in die Produktionsentscheidungen eines Unternehmens hineinregiere. Gerade das allerdings wäre ja in der Tat der Sinn einer Ökosteuer.

Übriggeblieben ist schließlich die Rasierer- und Fotosteuer, die für die Finanzierung der Regionen nicht allzu viel bringt, sowie eine Kommission beim Premierminister, die seit über einem Jahr prüft, auf welche Produkte die Ökosteuer möglichst schmerzfrei ausgeweitet werden kann. Die belgischen Grünen haben allerdings wenig Hoffnung, daß sich in absehbarer Zeit irgend etwas bewegt. Die Widerstände aus der Industrie seien einfach zu stark.

Das großspurige Wort von der belgischen Ökosteuer fängt ohnehin an, etwas zweifelhaft zu werden. Anderswo gehört zu einer ernsthaften Ökosteuer vor allem die staatlich gelenkte Verteuerung von Energie. Auch in Belgien wurde darüber am Anfang nachgedacht, aber dann wurde die Idee ganz schnell wieder fallengelassen, bevor eine öffentliche Diskussion darüber ausbrechen konnte.

Als die Regierung vor einem halben Jahr dennoch die Benzinsteuer deutlich anhob, hatte das andere Gründe. Die finanziell klamme Regierung wollte die Konkurrenzfähigkeit der belgischen Wirtschaft steigern, um die Beschäftigung anzukurbeln. Sie suchte deshalb einen Weg, exportorientierten Unternehmen Subventionen zukommen zu lassen, ohne in die eigenen leeren Taschen zu greifen. Seitdem spendet jeder Autofahrer automatisch einen Teil der Spritkosten an die notleidende und leicht veraltete Schwerindustrie. Diese kann damit ihre hohen Energiekosten decken und erhält alles andere als einen Anreiz zum Energiesparen.