Theater muß auch eine Ware sein

■ Gefördert wird viel zuwenig. Aber freie Theatergruppen sollten endlich auch anfangen, ihre Zügel selbst in die Hand zu nehmen. Die Zusammenfassung eines Gesprächs mit Gerd Hunger vom "Spott"-Verein, dem..."

taz: Im letzten „Aushang“, dem Vereinsblatt des Büros für freies Theater, regst du Selbstkritik unter den freien Gruppen an. Du schreibst auch, der Kontakt zum Publikum müsse wieder hergestellt werden. Siehst du dessen Gleichgültigkeit als ein spezielles Problem der freien Gruppen an oder ist es nicht eher so, daß das Theater insgesamt nur noch wenige Leute interessiert?

Gerd Hunger: Vielleicht ist das eine allgemeine Entwicklung, aber bei uns hat das symptomatische Ursachen und Auswirkungen. Das freie Theater ist aus der Studentenbewegung hervorgegegangen. Von Anfang an gab es eine sehr enge Verbindung zwischen den Theatermachern und dem Publikum. Diese politische Identifikation ist verlorengegangen. In den siebziger Jahren waren Diskussionen nach der Vorstellung ein Ritual. Das ergab sich je nach Thema wie von selbst, und manchmal wurde auch über etwas ganz anderes gesprochen. Ich glaube, daß es ein solches Bedürfnis des Publikums auch heute noch gibt. Aber die Zwanglosigkeit ist verlorengegangen. Thematisch und formal bietet sich das freie Theater nicht mehr als Theater zum Anfassen an.

Woran liegt das?

Das mag mit der Auflösung der traditionellen Linken in Deutschland nach dem Mauerfall zusammenhängen, mit dem Fehlen einer gesellschaftlichen Alternative überhaupt. Hinzu kommt, daß die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft vor den Theatermachern auch nicht haltgemacht hat. Es wird häufig Bauchnabelschau betrieben.

Das hört sich so an, als ob das freie Theater seine Grundlage verloren hätte und dort nur noch Leute arbeiteten, die in einer Institution nicht unterkommen.

Das stimmt so pauschal natürlich nicht. Es gibt durchaus eine Reihe von Gruppen, bei denen ich vor allem in der Ästhetik Ansätze sehe, die sich da unterscheiden. Leute, die sich dagegen sperren, vom etablierten Theater aufgesogen zu werden, obwohl sie die Möglichkeit dazu hätten.

Aber das ist ja nicht die Regel, sonst wäre das freie Theater seine Probleme los. Und daß es welche gibt, kann man jeder Zeile deines Textes im „Aushang“ entnehmen.

Die finanzielle Situation hat sich enorm verschlechtert und das Publikum bleibt häufig weg. Es ist Zeit, Gespräche zu beginnen. Wir müssen konstatieren, was sich nach 1989 kulturell verändert hat und inwieweit wir darauf reagiert haben. Das betrifft sowohl die Politik als auch die Presse und das Publikum. Es gibt so eine Lust am Leiden bei Künstlern, das heißt: je mehr ich verkannt bin, je weniger Publikum in meine Vorstellung kommt, desto besser bin ich als Künstler. Ich plädiere dafür, zu sagen: Was haben wir falsch gemacht? Das freie Theater hat seine Verbindungen zu diesen drei Bereichen verloren.

Das heißt: Jetzt geht es um Bestandssicherung.

Die freien Theater müssen anfangen, das gleiche zu machen, was jedes Theater in Berlin macht. Die alltägliche Öffentlichkeitsarbeit bei freien Theatern ist schauderhaft. Publikumsbetreuung ist notwendig. Man muß sich um ein Stammpublikum kümmern, das man auch dann anschreibt, wenn man gerade eine Recherche macht oder eine Produktion vorbereitet. Das betrifft nicht nur Gruppen mit festen Spielstätten, sondern auch Gruppen, die in einer bestimmten Sparte aussagekräftig genug sind, daß ihnen das Publikum folgt. Die Theater müssen sich auch zusammenschließen, Werbegemeinschaften bilden. Daß Theater auch eine Ware ist, die man anbieten muß, muß begriffen werden. Das Mißtrauen solchem Denken gegenüber muß abgebaut werden.

Du forderst Zusammenschlüsse in einer Situation, in der jede einzelne Gruppe um ihre Existenz kämpft.

Wenn das Medium interessant ist, belebt Konkurrenz das Geschäft. Nur wenn es darniederliegt, ist Konkurrenz eine Gefahr. Eine Möglichkeit, freies Theater attraktiv zu machen, ist, Profile deutlich zu machen. Wir haben beispielsweise einen Wildwuchs von Spielstätten. Jede einzelne sollte ihren Anspruch formulieren, in welcher Richtung sie ihren Spielplan gestalten will. Das müßte so konsequent sein, daß ein Betreiber zu einer Gruppe, die sich bewirbt, sagt: Geht doch mal da und da hin, da seid ihr besser aufgehoben. Die Verknüpfung könnte noch weiter gehen. Wenn wir so etwas wie Produktionsleiter etablieren könnten, die spielstätten- und gruppenübergreifend organisatorisch arbeiten, dann könnten wir einen Mangel aufholen, den wir gegenüber dem gesamten westeuropäischen Raum haben. Produzentenpools könnten teilweise das Manko an öffentlicher Förderung ausgleichen.

In Antwerpen gibt es so etwas. Die schaffen es, den Haushalt für eine Gruppe aus 37 Quellen zu sichern.

Das alles ist die Forderung nach Professionalisierung. Eine solche ermöglicht künstlerisch anspruchsvolle Arbeit, bedingt sie aber nicht.

Natürlich nicht. Aber auch da kann man Mißstände strukturell beheben. Die tatsächlichen Talente werden oft aus ökonomischen Gründen rausgedrängt, während andere weiterwursteln. Das ist ein heikles Thema. Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen darüber rede, merke ich, wie da Mauern aufgebaut werden. Es ist nicht hilfreich, jemanden in einer künstlerischen Beschäftigung einzustellen, nur weil er einem sympathisch ist.

Du stellst dir eine freiwillige Selbstkontrolle vor?

Ich kann niemanden kontrollieren. Aber es könnten Gesprächszusammenhänge hergestellt werden, in denen sich so etwas ansprechen läßt. Der Kultursenator posaunt gerne heraus, daß es in Berlin 400 spielende Gruppen gebe. Das deutet schon auf ein Manko hin. Vielleicht gibt es in jeder zweiten Gruppe einen Regisseur, eine Schauspielerin, eine Choreographin, die mich überzeugt haben – und sechs bis sieben Dilettanten.

Du hoffst, daß eine Professionalisierung der Strukturen auch hier Akzente setzen könnte?

Wir müssen diese Probleme in den Griff bekommen. Sonst wird die freie Theaterszene eines Tages ganz weg sein. Das heißt dann zum einen, daß es mit der Förderpraxis nicht geklappt hat, heißt aber auch, daß die Gruppen auf den Eigenanteil ihrer Ökonomie zu wenig achtgegeben haben. Wenn eine Gruppe zugrunde geht, weil sie in einem Jahr die 30.000 Mark aus dem Senatstopf für freie Gruppen mal nicht bekommt, dann hat sie etwas falsch gemacht. Interview: Petra Kohse