Sanssouci
: Nachschlag

■ Shakespeare-Projekt der „Theaterbrücke Moskau–Berlin“

„Romeo und Julia“ ist eine der berühmtesten Liebesgeschichten der Welt. Seit der Renaissance inspirierte der Mythos des Paares zu Opern und Balletten, Dramen, Romanen und IM- Decknamen. Die neugegründete „Theaterbrücke Moskau–Berlin“ scheut dieses Erbe nicht. Ihre Aufführung des Shakespeare- Dramas will den gesellschaftskritischen Zündstoff in die Gegenwart hinüberretten und – durch das gemeinsame Spiel von deutschen und russischen SchauspielerInnen – die malträtierte Ost- West-Beziehung neu beleben. Der Liebestod von Romeo und Julia als Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Und als neue Form des Bewegungstheaters mit Musik, Tanz und Sprache in „einer harmonischen Symbiose“. Die Theaterbrücke spielt mit hohem Einsatz. Doch kann sich der auch sehen lassen?

Von Anfang an steht der Kampf der verfeindeten Parteien im Vordergrund. Die Capulets und die Montagues, weißgekleidete Helden in Strumpfhosen, schleichen umeinander, um sich zu vernichten. Da nutzt auch der stimmgewaltige Appell des friedliebenden Fürsten von Verona nichts. Mit dem Dolch im Gewande zelebrieren die militanten Damen und Herren höfische Tänze, bereit, bei der geringsten Gelegenheit die gebremste Leidenschaft des Tanzes in ein Gemetzel zu verwandeln. Doch seltsam: Die Kämpfe ähneln den Tänzen sehr. Zu fröhlicher Musik gibt es einen stilisierten Krieg, und die Kinder im Publikum kichern verzückt, als der Degen Romeos endlich seinen Widersacher durchbohrt. Durch die hübschen Anzüge, die hübschen Bewegungen und das märchenhafte Ambiente entsteht eine Trickfilmästhetik, die suggeriert, die Figuren würden nach dem Sterben schon wieder aufstehen. Da hilft auch nicht, daß die Texte in übereifrigem Ernst vorgetragen werden, die SchauspielerInnen ihre Rolle nach Stanislawski-System besonders intensiv durchleben. „Die schreien aber, wa“, sagt das Mädchen vor mir, und das gilt für die Aufführung insgesamt: zuviel Pathos, um tatsächlich ergreifend zu sein. Die Musik, Tanzmusik aus der Renaissance, schluchzende Geigen und der süßliche Minimalismus des unsäglichen Modekomponisten Michael Nyman, steigert die Emotionen zum Kitsch. Bacchantische Feste werden zum Ringelreihen, die gewaltigen Verse Shakespeares verharmlost: eine Märchenvorstellung, eine Liebesgeschichte wie in einem Groschenroman – ohne jeden gesellschaftlichen Stachel. Christine Hohmeyer

Nächste Vorstellungen von 16. bis 18.2., 20 Uhr, Straßenbahndepot Moabit, Wiebestraße 29–39

„Romeo und Julia“ in der Nikolaikirche Foto: Thomas Aurin