Arie in Moll

■ Oliveiras „Tag der Verzweiflung“ (F)

Wer nicht gerade als Wagner-Evangelist arbeitet und sich von „Isoldes Liebestod“ zum Grinsen veranlaßt fühlt, ist bei Manoel de Oliveira halb richtig. Der portugiesische Altmeister hat in seinem „O Dia do Desepero“ wieder, nur auf den Briefen des Dichters Camillo Castello Branca, ein scheinheiliges Operntheater gegründet.

Branca, auch Portugiese und lange in wilder Ehe mit seiner Haushälterin verbandelt, erblindete im Alter und schoß sich eine Kugel in den Kopf. So Oliveira, der einem starrsinnig-würdevollen Geschehen das Bühnenbild entwirft: 1884 und danach, Brancas Landhaus, Goldregen aus Herbstblättern, sepiafarbene Interieurs — ein Museum, in dem die sich als solche zu erkennen gebenden Rollen-Sprecher nicht etwa gehen, nein schreiten: Branca und sein neuzeitliches Alter Ego, Brancas Geliebte Ana gleich deren Darstellerin Teresa.

Das Double ist das Original und umgekehrt. Zeigen kippt in Erleiden und umgekehrt. Mitunter wird das Pathos der Fiktion, die in die Gegenwart rutscht, mit dem Zuziehen eines Vorhangs, dem Ablegen der Perücke beendet — die Musik jault ins Off. „Isoldes Liebestod“ wie gesagt, und angemessen übertrieben im Verhältnis zwischen erotischem Bratkartoffelverhältnis und tragischem Erblinden. Der Tod — eine Braut, das Leben — ein Doppelgänger.

Aber eigentlich ist alles viel kunstvoller, und was ist gegen das Variieren von Opern schon einzuwenden? Wenn es doch so liebevoll-gehässig und zugleich intelligent gelingt? Anke Westphal

„O Dia do Desespero“ Portugal 1994, Regie: Manoel de Oliveira, 77 Minuten, Farbe