Dienstpflicht statt Wehrpflicht für die Schweizer?

■ Ein Bündnis linker Organisationen fordert die Halbierung der Militärausgaben. Das Schweizer Volk soll im nächsten Jahr darüber abstimmen.

Die Schweizer Linke ist sich einig: Mit der „Armeereform 95“ ist weder eine einschneidende Reduktion der Miltitärausgaben noch ein Schritt zur Entmilitarisierung der Gesellschaft verbunden. Von der friedenspolitischen Szene bis zur liberalen politischen Mitte erregen sich gegenwärtig die Gemüter gegen die hartnäckige Abrüstungsfeindlichkeit von Regierung und Parlament. Die Linke pflegt ihre Entmilitarisierungsprojekte mit Volksinitiativen zu lancieren. Wer innerhalb von 18 Monaten für eine Verfassungsänderung 100.000 Unterschriften sammelt, erzwingt eine Volksabstimmung. Vom überraschend positiven Ausgang der Volksinitiative über die Abschaffung der Armee im Jahre 1989 ermutigt, entschloß sich ein breites Bündnis linker Organisationen und Parteien nach dem Golfkrieg 1991 zur einer Volksinitiative „für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik“.

Nach erfolgreicher Unterschriftensammlung reichten die InitiantInnen das Begehren im Herbst 1992 ein. Der Initiativtext, der in der Verfassung verankert werden soll, verlangt die Kürzung der Militärausgaben in jährlichen Zehnprozentschritten auf mindestens die Hälfte. Die eingesparten Mittel sollen zu je einem Drittel der internationalen Friedenspolitik und der sozialen Sicherheit im Inland zugeführt werden. Zusätzlich würde der Bund zur Förderung der Rüstungskonversion verpflichtet. Denn die Annahme der Initiative hätte etwa eine Halbierung der militärischen Beschäftigung zur Folge. Die Landesregierung hat sich bereits gegen die Initiative ausgesprochen. Das Parlament wird noch in diesem Jahr darüber zu befinden haben, bevor der Abstimmungstermin angesetzt wird.

Die WortführerInnen des Abrüstungsprojektes wollen ihre Initiative nicht als schrittweise Abschaffung der Armee verstanden wissen. Aber sie stellen die „Armeereform 95“ grundsätzlich in Frage. Die Schweizer Armee halte an einer überholten Bedrohungslage fest. Das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) gaukle der Bevölkerung vor, eine überrüstete Landesverteidigung gewährleiste im ausgehenden 20. Jahrhundert noch die Sicherheit der Bevölkerung. Angesichts der knappen öffentlichen Mittel sei es unverantwortlich, der Armee jährlich sechs Milliarden Franken in den Rachen zu schütten.

Während die weltweiten Militärausgaben nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen zwischen 1987 und 1994 um real 23 Prozent sanken, gingen sie in der Schweiz im selben Zeitraum um lediglich 5,5 Prozent zurück. Und gegenwärtig steigen die Militärausgaben nominal wieder stärker als die öffentlichen Ausgaben für Friedenspolitik und Entwicklungszusammenarbeit sowie für soziale Sicherheit. Ein Blick ins Jahrbuch des Londoner Internationalen Instituts für strategische Studien offenbart, daß die Schweizer „Armee 95“ zu den weltweit höchstgerüsteten Militärapparaten gehört. Die Schweiz leistet sich, gemessen am Territorium, mehr als doppelt so viele Panzer, sechsmal soviel schwere Artillerie, dreimal so viele Kampfflugzeuge und fünfmal so viele Mannschaften wie die Bundesrepublik Deutschland.

Der Abstimmungskampf verspricht insbesondere deshalb viel Spannung, weil die Trägerschaft der Initiative „für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik“ sich weit über pazifistische Kreise erstreckt. Viele große Schweizer Hilfswerke wie „Brot für alle“, „terre des hommes schweiz“, das „Hilfswerk der Evangelischen Kirchen“ und „Swissaid“ unterstützen die Abrüstungsinitiative. Sie rufen die Regierung insbesondere dazu auf, endlich eine „Friedensdividende“ zugunsten der Entwicklungszusammenarbeit zu schaffen. Und die Schweizer Gewerkschaften stellen sich hinter die Initiative, weil auch sie sich von der finanziellen Abrüstung eine „Dividende“ gegen den Sozialabbau und für die Konversionförderung versprechen. Die SP Schweiz legte Ende Januar ihrerseits dar, wie sie sich die Landesverteidigung zu halben Kosten vorstellt. Die internationale „Studiengruppe Alternative Sicherheitspolitik“ unter Lutz Unterseher (Bonn) hatte im Auftrag der SPS eine entsprechende Expertise erstellt. Vor verblüfften JournalistInnen rechnete Unterseher vor, daß die Schweizer Landesverteidigung ihren traditionellen Leistungsauftrag auch mit halbiertem finanziellem Aufwand erfüllen kann.

Der „Gruppe für eine Schweiz ohne Armee“ (GSoA) zielt dieses Abrüstungsprojekt zuwenig auf die gesellschaftliche Entmilitarisierung ab. Im laufenden Jahr will sie mit einer eigenen Initiative die Chance einer Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht zugunsten eines freiwilligen Gemeinschaftsdienstes prüfen. Aber auch die Wirtschaft und bürgerlich-liberale Kreise wollen der Wehrpflicht ein Ende setzen. Die militärdienstbedingte Abwesenheit der Wehrpflichtigen kostet die Privatwirtschaft jährlich rund zehn Millionen Arbeitstage und Produktionseinbußen von drei bis sieben Milliarden Franken. Statt dessen fordern diese Kreise eine allgemeine Dienstpflicht. Unter Einbeziehung der Frauen stünden hiermit jährlich Zehntausende von billigen Arbeitskräften zur freien Verfügung. Und für das Militärische wäre sodann eine professionalisierte Elitetruppe zuständig. Hier bahnt sich eine unheilige Allianz zwischen PazifistInnen und neoliberalen Deregulierungen an, die den Mitgliedern der GSoA noch einiges Kopfzerbrechen bereiten wird. Thomas Gass