Endlich! Die „schreckliche Witwe“ springt ab!

■ Gestern verkündete Brigitte Seebacher-Brandt ihren Austritt aus der SPD / Die letzte Ehefrau Brandts wirft der Partei Beiseiteschaffen von Dokumenten vor

Berlin (taz) – Brigitte Seebacher-Brandt, letzte Ehefrau des seligen Willy und in Kreisen Übelwollender auch als „die schreckliche Witwe“ bekannt, hat endlich das Tischtuch zwischen sich und der Partei zerschnitten, der sie 30 Jahre lang angehört hat. In einem sechsseitigen Schreiben teilte sie der Frankfurter Rundschau und dann dem SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping ihren Austritt mit.

Frau Brandt klagt in ihrem Brief „führende Sozialdemokraten“ an, „Aufzeichnungen meines Mannes beiseite geschafft zu haben“. Ihr besonderer Zorn gilt Egon Bahr, Hans-Jochen Vogel und Johannes Rau. Denn die Veteranen-Troika soll ihre Kenntnis von Notizen Willy Brandts verschwiegen haben, in denen dieser Informationen des ehemaligen sowjetischen Botschafters Falin vom März 1992 über eine Agententätgkeit Karl Wienands für den KGB festgehalten hat. Brandt hatte im Juni 1992 seinen Büroleiter Klaus Lindenberg zu sich nach Unkel bestellt, übergab ihm die Notizen und wies ihn an, sie im Tresor seines Parteibüros aufzubewahren. Ostern 1992, kurz nach dem Treffen mit Falin, hatte Brandt Vogel ins Gespräch gezogen und ihm über die Informationen des Ex-Sowjetmenschen berichtet. Vogel weihte seinerseits Konrad Porzner ein, den Chef des Bundesnachrichtendienstes. Der mobilisierte etwas außerhalb des Dienstwegs seine Behörde, die allerdings nicht fündig wurde. Von diesem Ergebnis informierte Vogel Brandt, der notierte: „am 17. 6. teilte mir HJV mit, Porzner könne hierzu (zu dem Verdacht der Spionagetätigkeit Wienands) nichts sagen“. Brandts Aufzeichnungen wanderten in den sicheren Safe des Archivs der Sozialen Demokratie, das zur Friedrich- Ebert-Stiftung gehört.

Im Frühjahr 1994 war Seebacher-Brandt dann vor die Schranken eines Zivilgerichts zitiert worden, weil sie aufgrund einer entsprechenden Mitteilung ihres Mannes Falins Version über Wienands Agententätigkeit in der Öffentlichkeit kolportiert hatte. Trotz intensiver Suche fand sie aber weder das Orginal der entsprechenden Brandt-Aufzeichnung, noch eine Kopie. Der Prozeß endete mit einem Vergleich, in der Sache aber verlor die Brandt- Witwe auf der ganzen Linie. Die SPD-Führung wußte es besser, schwieg aber kaltblütig. All dies wäre im Kreis der Altherren-runde geblieben, hätte nicht ein Anonymus der mit dem Wienand-Fall beauftragten Staatsanwalt einen Tip gegeben, wo man nach den Aufzeichnungen suchen müsse. Hier schaltete sich der Spiegel ein und brachte am letzten Montag mit seinem Publikum auch Seebacher- Brandt späte Gewißheit. Offen bleibt nur, warum Willy die Notizen an die Partei überstellte und nicht seiner Frau, mit der er angeblich in seiner letzten Lebensphase weit enger vertraut war als mit seinen Genosssen.

In ihrem Austrittsbrief schreibt Seebacher-Brandt, die inkriminierten SPDler hätten „den Willen meines Mannes bewußt in sein Gegenteil verkehrt“. Denn: „Willy Brandt ist gegenüber jeder Form der Kollaboration mit Kommumnisten, seien sie deutsch oder sowjetisch, ohne Nachsicht gewesen.“ Schwungvoll beendet die Witwe ihr Schreiben mit dem Satz: „Die Partei, die ich jetzt verlasse, ist nicht die freiheitliche Partei Willy Brandts.“ Christian Semmler