Sanfte Medizin mit Blick auf die Havel

■ Anthroposophen eröffnen das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe / Einrichtung steht auch Kassenpatienten offen

Die PatientInnen bekommen neuerdings Vollkornbrötchen, in den Aufenthaltsräumen gilt ein Rauchverbot, und seit drei Tagen hängen auf den Gängen der Inneren Abteilung zarte Aquarelle einer anthroposophischen Maltherapeutin: Berlin hat sein erstes anthroposophisches Krankenhaus.

Noch ist im ehemaligen städtischen Krankenhaus Havelhöhe in Spandau vor allem Improvisationsgeschick gefragt: Weil die Krankenhauskasse mit null Mark eröffnete, mußten alle diensthabenden Ärzte mit ein paar Scheinen aushelfen. Der Umbruch vollzieht sich in kleinen Schritten: statt die Mahlzeiten für sich auf dem Zimmer einzunehmen, können die PatientInnen der Inneren Station künftig an einem großen Tisch im Aufenthaltsraum gemeinsam essen. Der Heilmittel-Kräutergarten wird von ehemaligen Drogenabhängigen zum Blühen gebracht. In der Küche werden neue Diätpläne erprobt, denn Nahrung wird als Teil der Therapie begriffen.

In einigen Häusern ist der Umbau noch in vollem Gange. Die Station für unheilbar Kranke ist nahezu fertiggestellt. Hier werden in zwei Monaten zwölf Patienten ein Zimmer beziehen, das wie die meisten Krankenzimmer einen wunderbaren Blick über das weitläufige Parkgelände und die Havel bietet. Für die Angehörigen steht auf dieser Station jeweils ein kleines Zimmer bereit. Dazu kommt ein Wohnraum, den sich jeweils zwei Schwerkranke teilen. Wegweisend wird auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen einem Internisten, einem Chirurgen und einem Anästhesisten sein. Noch fehlen – wegen bürokratischer Widrigkeiten – die Möbel. Wie der Arzt Harald Matthes erläutert, will der Senat das Geld an den früheren Träger überwiesen haben, damit die Einrichtung bestellt werden kann, dort soll es aber nicht angekommen sein. „Jetzt wird nach dem Geld gesucht“, so Matthes. Der junge Arzt steckt solche Pannen mit Humor weg.

Zu schaffen macht auch die historische Bausubstanz. Die meisten Gebäude stammen aus den dreißiger Jahren. Auf dem Gelände, das zuvor der Familie des Reichskanzlers Bismarck gehört hatte, bauten die Nazis Kasernen für die Reichsluftwaffe. Weil der Landeskonservator die Gebäude für schützenswert hält, gibt es für äußere Veränderungen nur wenig Spielraum.

Eine Erbschaft aus den Zeiten, als die Klinik noch auf Tuberkulose spezialisiert war, sind die zur Sonne hin gebauten Liegeterrassen. „Hier könnten nach einem Umbau die Ateliers für Kunsttherapie einziehen“, meint Matthes. Die beiden Kunsttherapeuten haben ihre Arbeitsräume bis auf weiteres auf den Stationen eingerichtet.

Das Interesse an der neuen Klinik ist groß. Innerhalb von vier Tagen waren Anfang Januar alle 190 Betten der Inneren Station belegt, sagt Matthes. „Bis jetzt haben wir jeden, der sich in der Aufnahme vorgestellt hat, aufgenommen.“ Patienten, die sich aus anderen Krankenhäusern hierher verlegen lassen wollen, werden übernommen, sofern Betten frei sind. Die über elf Häuser verteilten 320 Betten stehen Kassenpatienten offen. Die Krankenkassen bezahlen auch die Therapieformen, die über die Schulmedizin hinausgehen, wie Bauchwickel oder rhythmische Einreibungen. Nicht nur die Pflege ist hier intensiver, sondern die Krankheit soll auch als Ausdruck innerer Konflikte und als Signal für Veränderungen im eigenen Leben begriffen werden.

Die Zusammenarbeit mit dem Personal, das dem Trägerwechsel zunächst mit großer Skepsis begegnete, beschreibt Matthes als „extrem konstruktiv“. Sieben Ärzte und fünfzehn Pflegekräfte sind im Zuge des Trägerwechsels gegangen. Bei den Verbliebenen sei das Interesse groß, sich hausintern fortzubilden. Die Aufbruchstimmung spiegelt sich auch an dem Schild am Eingang des Krankenhauses. „Wir stellen ein: DiatköchInnen, Pflegekräfte und weiteres Personal.“ Dorothee Winden