Transitraum ins Nichts

■ Das geplante Leasing-Krematorium in Treptow ist ein Trauerort aus Licht und Stille

Die „Reise auf dem Fluß ohne Wiederkehr“ bleibt für uns Menschen ein Mysterium. Nicht zuletzt deshalb inszenieren wir die Schauplätze des Übergangs zum Totenreich – jene Transiträume in Friedhofskirchen und Krematorien – zu Orten des Abschiednehmens. Daß diese Ortsbestimmungen oft schiefgehen, kann jeder nachfühlen, der einmal in aquarellierten Kitschkapellen, kultischen Weihetempeln oder lieblos gestalteten Aussegnungshallen stehen mußte. Weder die Einrichtung selbst noch die Plätze für die Trauernden lassen dort die Atmosphäre von Ruhe, Erinnerung und Stille aufkommen.

Friedhofsbauten, Totenstädte und Krematorien sind in der Architektur der vergangenen Jahre wieder zum Thema geworden. Aldo Rossis Friedhofsanlage im norditalienischen Modena und Imre Markowicz' berühmte Trauerhalle in Ungarn etwa sind keine unbefriedigenden Orte der Totenentsorgung. Es sind Stätten der Würde, des Abschiednehmens, der Passage von der Erde ins Nirgendwo. Axel Schultes' und Charlotte Franks Entwurf für das Krematorium am Baumschulenweg in Treptow bildet einen solch kühl- stilisierten Ort der Stille. Er soll ein Gegenstück darstellen zu der, wie Schultes meint, „dumpfen Trostlosigkeit“ anderer Aussegnunghallen, die für die Trauernden wie die Toten voller Peinlichkeiten sind. „Die Vorstellung“, erklärt der Architekt, „grüppchenweise verwahrt zu werden, bis die Trauergemeinde an die Reihe kommt, macht mit ihrer Abfertigungsmechanik schaudern.“

Vom bestehenden Friedhof aus sollen beim Treptower Neubau die Trauernden über eine Treppe als erstes in eine zentrale Wandelhalle (35 mal 35 Meter) gelangen, in der 29 Säulen scheinbar wahllos verteilt sind. Der blaulasierte Säulenwald ist quasi der Ort der Verwandlung. Er bildet unterschiedliche Räume aus, die durch punktuell einfallendes, diffuses Oberlicht geschaffen werden. Von hier führt der Weg in drei Festsäle und das längsseits plazierte Sarglager, das Schultes als „Zwischenfriedhof“ für 700 Särge anlegte.

In zwei Kellergeschossen liegt das eigentliche Krematorium: Die Särge werden direkt aus dem Sarglager entnommen und über eine Mechanik automatisch in die Öfen gebracht, kommentiert Christoph Witt, für das Projekt zuständiger Architekt im Büro Schultes, den Verbrennungstrakt. Die vier Verbrennungsöfen können bei einer Verbrennungsdauer von jeweils 70 Minuten eine Kapazität von rund 11.000 Leichen jährlich aufnehmen. Von den Öfen werden die Emissionen über Filteranlagen nach außen geführt. Im zweiten Untergeschoß befindet sich der untere Ofenraum, der als Leerurnenlager und zur Abfüllung der hier entnommenen Asche in die Gefäße dient. Zwei „Verbrenner“ sind notwendig, die Öfen zu bedienen. Die Wärmeenergie wird zur Versorgung des Hauses genutzt.

Um das geplante Krematorium, das ab 1997 die stillgelegte Verbrennungsanlage Treptow aus dem Jahr 1913 ersetzen soll, gibt es Streit. Die Kosten für das Projekt seien zu hoch angesetzt, moniert die Senatsverwaltung für Umweltschutz. Für die Ausgestaltung der Trauerhallen werde zuviel Geld ausgegeben. Axel Schultes wehrt sich dagegen: Am Baumschulenweg werde kein „Luxuskrematorium“ errichtet. Im Untergeschoß stecke eine moderne umweltverträgliche Technik, der Bau werde ohne Schörkel in Beton ausgeführt. Die 74 Millionen Mark für die Einäscherungsanalge seien gerechtfertigt. Hinter der Anklage vermutet Schultes die Bestrebungen der Berliner Finanzverwaltung, das Krematorium von einem privaten Investor mit „Billigtechnik“ kostengünstiger bauen zu lassen. Das würde die Leasing-Raten erheblich drücken. „Von meiner Planung ließen die nichts übrig“, sagt der Architekt. Doch darum wäre es schade. Die Trauerhallen (ganz abgesehen von der modernen Technik) verlören ihre spielerische Inzenierung. Rolf Lautenschläger