S-Bahn-Überfälle vor Gericht

■ Acht junge Bernauer sollen Mitreisende tyrannisiert haben

Im Gerichtssaal fehlte ihnen der Kick für emotionale Ausbrüche: Mit nahezu teilnahmslosen Mienen und verschränkten Armen gestanden gestern einige der acht Angeklagten vor dem Berliner Landgericht, in der Nacht zum 8. Oktober 1994 auf der Strecke zwischen Bernau und Lichtenberg diverse Fahrgäste der S-Bahn-Linie 8 terrorisiert zu haben.

Dabei liest sich die Anklageschrift wie ein Auszug aus einem schlechten Roman über rechtsradikale Rollkommandos: Die acht jungen Männer im Alter von 15 bis 23 Jahren sollen im Schutz einer 20- bis 30köpfigen Gruppe aus Bernau diverse Männer und Frauen mit Schlägen und Tritten mißhandelt und zum Teil schwer verletzt haben, weil sie sie für „Zecken“ (Linke; d. Red.) oder „Fidschis“ (Vietnamesen; d. Red.) hielten. Auch Zeugen, die gedroht hatten, Anzeige zu erstatten, sollen geschlagen worden sein. Im Laufe der Nacht, in der die Jugendlichen offenbar ziellos und zum Teil sturzbetrunken mit dem einzigen Ziel, Mitreisende zu tyrannisieren, durch Berlin gondelten, kamen 13 Fälle von gefährlicher Körperverletzung, Raub, Sachbeschädigung und der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen zusammen.

Unter anderem sollen sie sich um eine Leder- und zwei Bomberjacken, eine Uhr, Turnschuhe und Bargeld bereichert haben. Mit den Worten „Neger, du lebst gefährlich in Deutschland“ sollen einige von ihnen zum Abschluß morgens um halb vier einen Dunkelhäutigen zusammengeschlagen haben. Er erlitt multiple Prellungen und Platzwunden und verlor einen Zahn. „Schmeißt ihn doch aus der Bahn“, soll eine Frau aus der Gruppe gegrölt haben.

Aus Wut darüber, daß man sie wegen ihrer Springerstiefel und Bomberjacken nicht in eine Disco in Buch gelassen habe, sei es zu den Gewaltausbrüchen gekommen, erklärte gestern ein 18jähriger mit kurzgeschorenen Haaren vor Gericht. Er gab zu, einer Frau mit der Faust ins Gesicht geschlagen sowie einem Jugendlichen die Jacke abgezogen zu haben. Einem anderen hatte er die Mütze vom Kopf gerissen. „Ich wollte gucken, ob das stimmt, daß das ein Linker ist.“ Daß sie eine Gruppe von Rechtsradikalen seien, wies er aber wie alle anderen weit von sich.

Die Brüder Thomas und Eric B., denen ein großer Teil der Körperverletzungen zur Last gelegt wird, stritten diese gestern ab. Sie wollen sich lediglich daran erinnern können, betrunken mehrere Personen angepöbelt zu haben. Ihrer Erinnerung stehen allerdings auch Unmengen Alkohol im Weg: Zusammen hatten sie nach ihren Angaben eine Flasche Whiskey und eine Kiste Bier geleert. Der Prozeß wird am Freitag fortgesetzt. Jeannette Goddar