EU will Trinkwasser flexibel vergiften

■ Grenzwert für Gesamtmenge der Pestizide im Trinkwasser wurde gestrichen

Brüssel (taz) — Im Trinkwasser soll künftig mehr Gift erlaubt sein. Das hat die noch bis zum 25. Januar amtierende EU-Kommission als eine ihrer letzten Amtshandlungen beschlossen. Die bisherige Richtlinie aus dem Jahre 1981, die in der EU praktisch pestizidfreies Trinkwasser vorschreibt, soll durch eine neue abgelöst werden, die den Mitgliedsstaaten „die nötige Flexibilität“ erlaubt. Weniger zynisch ausgedrückt heißt das, daß künftig nicht nur ein höherer Grenzwert für Agrarchemikalien gelten soll, sondern auch jeder Regierung die Möglichkeit eingeräumt wird, die gelockerten Grenzwerte außer Kraft zu setzen.

Die Richtlinie, die vom griechischen Umweltkommissar Ioannis Paleokrassas noch schnell eingebracht wurde, bevor das Ressort in drei Wochen von der dänischen Sozialdemokratin Ritt Bjerregaard übernommen wird, muß noch von den 15 EU-Umweltministern bestätigt werden. Die Dänin gilt als umweltbewußter und weniger sensibel gegenüber den Wünschen der Agrarlobby.

Jahr für Jahr sprühen die EU- Bauern rund 300.000 Tonnen Unkraut- und Insektenkiller auf die Äcker. Ein Teil davon sickert ins Grundwasser und macht es den Wasserwerken zunehmend schwerer, die Reinheit des Wassers zu sichern. Trotz aufwendiger Filteranlagen mußten auch im vergangenen Jahr eine Reihe von Brunnen geschlossen werden.

Statt die Zulassung von Pestiziden zu verschärfen, zeigte dieMehrheit der EU-Regierungen bisher großes Verständnis für die Argumente der Agrar- und Chemieverbände. Bereits vor einigen Wochen beschlossen die Agrarminister mit Zustimmung der Bundesregierung eine ausgesprochen lockere Zulassungspraxis. Um die Kosten für die Wasseraufbereitung in Grenzen zu halten, wird nun auch die Trinkwasserrichtlinie angepaßt. Zwar bleibt der generelle Grenzwert von 0,1 millionstel Gramm eines einzelnen Pestizids pro Liter Wasser erhalten. Aber der bisherige Wert für die Gesamthöchstmenge von 0,5 millionstel Gramm wurde gestrichen. Noch schwerer wiegen die Ausnahmeregelungen, nach denen Regierungen die Grenzwerte ignorieren dürfen, wenn sie „technische Schwierigkeiten“ bei der Wasserversorgung geltend machen.

Auch wenn anzunehmen ist, daß die Bundesregierung auf solche Ausnahmen verzichtet, sind die Verbraucher dennoch davon betroffen: durch Lebensmittel, in denen Wasser mit höheren Pestizidwerten verwendet wurde. Die Grünen im Europaparlament hoffen, daß die neuen EU-Länder Österreich, Schweden und Finnland die Richtlinie noch zu Fall bringen. Alois Berger