Ein Biotop spaltet die Partei

Kreuzberger Grüne kämpfen gegen einen ökologischen Neubau des Tempodroms, weil sie eine Grünfläche in Gefahr sehen / Der Rest der Stadt schüttelt den Kopf  ■ Aus Berlin Dorothee Winden

Standhaftigkeit, radikales Eintreten für ein Biotop und das eiserne Festhalten an der Bürgerbeteiligung – diese rar gewordenen basisdemokratischen Primärtugenden stehen bei den Bündnisgrünen in Berlin-Kreuzberg hoch im Kurs. Doch damit haben sie sich jetzt nichts als Feinde geschaffen.

Seit eine schwarz-grüne Zufallsmehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gegen die Ansiedlung des berühmten alternativen Kulturbetriebs Tempodrom in Kreuzberg gestimmt hat, hagelt es Protestbriefe und drei Parteiaustritte. Daß ausgerechnet die Grünen den ökologisch geplanten Neubau des Tempodroms auf dem Gelände des Anhalter Bahnhofs ablehnen, weil ein Biotop gerettet werden muß – das will so manchen nicht in den Kopf.

Von Biotop kann aber keine Rede sein. Das umstrittene Gelände ist vielmehr eine Brachfläche, gekrönt von dem Portal des ehemaligen Anhalter Bahnhofs. Dahinter erstreckt sich ein Stück Rasen, das in eine höhergelegene Fläche übergeht. 1952 wurde die Bahnhofsruine gesprengt, seitdem wächst Gras über die Gleise. Birken ragen aus dem Gleisschotter, eine grünlich schimmernde Moosschicht überzieht mit bizarren Mustern die alten Eisenbahnschwellen. Das Tempodrom würde aber nur einen kleinen Teil dieses – von der Natur erwilderten – Fleckchens beanspruchen. Nur einen einzigen der sechs Hektar benötigt der Ökobau mit der Solarkuppel und den Dachsegeln.

Der Konflikt beschäftigt inzwischen den Landesvorstand und die Abgeordnetenhausfraktion der Grünen, doch einig ist man sich keineswegs. Im Landesausschuß, dem höchsten Gremium zwischen den Parteitagen, endete eine Abstimmung in der vergangenen Woche mit einem Patt. Dabei sollten die Delegierten nur darüber entscheiden, ob die Kreuzberger aufgefordert werden, ihre Haltung nochmals zu überdenken. Mehr Einmischung verbietet die hochgehaltene „Bezirksautonomie“, auch wenn Birgit Daiber vom Parteivorstand dezent darauf hinwies, daß die künftige Gestaltung der Innenstadt wahrhaftig keine reine Bezirksangelegenheit sei.

Unter dem starken Druck von außen reagierten die Kreuzberger Grünen reflexartig wie das Berliner Wappentier der Partei: sie igelten sich ein. Bei einer Mitgliederversammlung im „Igelkeller“, einem Souterrain-Raum im Herzen von SO 36, beriet der harte Kern der Bezirksgruppe nach dem Landesausschuß über die weitere Marschroute. Man blieb unter sich. Obwohl die Einladung rechtzeitig an die 400 Mitglieder geschickt wurde, erschienen nur 14. Warum das brisante Thema auf so wenig Interesse stieß, konnte sich auch Gründungsmitglied Raimund Helms nicht erklären.

„Wir müssen das durchhalten“, bekräftigt er den Ablehnungskurs, und nur ein einsamer Dissident widerspricht. Park oder nicht Park, das ist jetzt die Frage. Denn aus der Kreuzberger Kellerperspektive sind Tempodrom-Neubau und Grünfläche miteinander unvereinbar. Daß die Kulturstätte den Park erst wirklich zum Park machen würde, überzeugt hier niemand. „Zehn Jahre lang haben wir für den Erhalt des Geländes gekämpft“, heißt es. Nach fünfjährigem Ringen um einen Bebauungsplan samt Bürgerbeteiligung ist man kurz vor dessen Verabschiedung. Der Bebauungsplan sichert das Areal als Grünfläche und bremst damit künftige Baugelüste, die ohne eine langwierige Änderung des Bebauungsplans nicht realisiert werden können. Dessen Verabschiedung liegt jetzt auf Eis. Wenn Bezirksbürgermeister Peter Strieder (SPD) in der BVV doch noch eine Mehrheit für seinen Vorschlag Anhalter Bahnhof bekommt, müßte das ganze Bebauungsplanverfahren neu aufgerollt werden. Und dann, so befürchten die Grünen, würde der Park womöglich noch mehr zugebaut. Von der Vision der „grünen Stadtmitte“ bliebe dann nichts mehr übrig.

Denn das ohnehin schon dicht bebaute Kreuzberg, das nach dem Mauerfall wieder in die Stadtmitte gerückt ist, steht vor einer neuen Bauwelle. Das benachbarte Gelände am Gleisdreieck wurde für die Baulogistik der Konzernzentralen von Daimler-Benz und Sony am Potsdamer Platz platt gemacht, jetzt soll kein weiterer Quadratmeter Grün preisgegeben werden, sagen die Grünen.

Daß zu den potentiellen Sponsoren, mit denen die Tempodrom- Chefin Irene Moessinger Gespräche führt, ausgerechnet Daimler- Benz gehört, nährt das Mißtrauen. Tschucki, ein grünes, aber inzwischen grau gewordenes Gründungsmitglied, zeterte bei der Versammlung im Igelkeller: „Wenn die (Moessinger; d. Red) Kommerz macht, soll sie wegbleiben.“ Ein anderer sekundiert fundamental: „Die Grünen sind nicht käuflich!“ Da sich unweit des Anhalter Bahnhofs schon Philharmonie, Nationalgalerie und Museen ballen, müsse nicht auch noch das Tempodrom dorthin.

„Das Tempodrom wäre ein Kontrapunkt zur Hochkultur in der Nähe des Regierungsviertels“, kontert hingegen Albert Eckert, kulturpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus. Diesem „Wettlauf um Deutschlands Mitte“ erteilt der Kreuzberger Raimund Helms jedoch eine Absage: „Die Alternativszene muß da nicht auch noch ihr Monument hinstellen.“

Die Kreuzberger Grünen sähen das Tempodrom am liebsten auf einem Stück Mauerstreifen, das der Ostberliner Bezirk Treptow an der Grenze zu Kreuzberg angeboten hat. Für Moessinger wäre das Gelände – auf dem gerade erst ein Park angelegt wurde – nur die zweite Wahl.

Die Kreuzberger Igel bangen jetzt, daß der Bezirk Treptow einen Rückzieher macht. Real dürfte aber eine ganz andere Gefahr sein. Wenn es SPD-Bürgermeister Strieder gelingt, die CDU umzustimmen – und die Chancen dafür stehen gar nicht schlecht –, baut das Tempodrom auch gegen den Willen der Grünen auf dem Anhalter Bahnhof.