Wärmehalle mit Teeausschank

Das türkische Theater Tiyatrom steckt zu seinem zehnjährigen Bestehen in der Krise / Mitarbeitern wurde nach der letzten Premiere gekündigt  ■ Von Daniel Bax

Es hätte alles so schön werden können: Pünktlich zum zehnjährigen Bestehen präsentierte das türkische Theater Tiyatrom in Kreuzberg seinem erwartungsvollen Publikum Ende Oktober ein neues Stück mit dem programmatischen Titel „Feuer und Flamme für dieses Land“. Offenbar hat man sich damit die Finger verbrannt.

Bereits während der Vorstellung verließen einige Zuschauer den Saal demonstrativ – unter ihnen sogar der Vorstand des Tiyatrom, Niyazi Turgay. Ihm waren die Provokationen des Stückes zu weit gegangen: An einer Stelle hatte der Regisseur des Stücks, Ralf Milde, seine Schauspieler in langsamen, abgehackten Sätzen Türken- und Judenwitze rezitieren lassen. Diese und andere Szenen wurden nach Ende der Aufführung im Foyer des Theaters noch lange erregt diskutiert.

Die türkische Presse fällte ein einhelliges Urteil: das Stück wurde verrissen. Doch die Absetzung des Stücks war ohnehin bereits beschlossene Sache, da einige der Schauspieler sich weigerten, das Stück künftig noch einmal aufzuführen – eine ungewöhnliche Wende, hatten sie das Stück doch drei Monate lang vorbereitet. Der Regisseur Ralf Milde, ursprünglich eigens aus Griechenland geholt, erschien erst gar nicht zur Premiere. Ihn hat man im Tiyatrom seitdem nicht mehr gesprochen.

Eine erste Konsequenz aus dem Eklat: allen Mitarbeitern des Tiyatrom mußte gekündigt werden, mit der offiziellen Begründung, es sei kein Geld mehr da. Trotzdem schließt das Tiyatrom nicht seine Pforten – zumindest nach außen hin wird der Betrieb aufrechterhalten, wenn auch auf Sparflamme. Da derzeit keine anderen Stücke zur Verfügung stehen, werden alte Erfolge wiederaufgeführt. Im November bestand der größte Teil des Programms aus Aufführungen von Volkshochschulgruppen – die zufällig von einem Mitarbeiter des Tiyatroms geleitet werden. An diesen Vermietungen verdient das Tiyatrom fast nichts, genausowenig wie an den beiden Gastspielen, die bis zum Jahresende notdürftig die entstandenen Lücken füllen.

Damit erlebt das Tiyatrom an seinem zehnten Geburtstag unvermittelt die größte Krise seit seinem Bestehen. Doch diese Krise kommt nicht von ungefähr, sie ist Produkt einer kontinuierlichen künstlerischen Konzeptlosigkeit. So sieht es zumindest der Regisseur und Theaterpädagoge Yalcin Baykul, der selbst am Tiyatrom gearbeitet hat. Er fragt sich, wer die künstlerische Leitung am Tiyatrom innehat und die künstlerische Linie bestimmt. Seiner Meinung nach geht es der derzeitigen Leitung des Theaters nur darum, sich irgendwie durchzuwursteln. Immerhin bekommt das Tiyatrom jährlich Subventionen in Höhe von einer halben Million Mark.

Von solchen Summen können viele freie Theatergruppen nur träumen. Das Hauptinteresse der Betreiber des Tiyatrom liegt darin, diesen Status quo zu erhalten, gesellschaftspolitische Ambitionen sind da eher nebensächlich. Offenbar nimmt die derzeitige Leitung des Hauses den Namen Tiyatrom – türkisch für „Mein Theater“ – zu wörtlich: als Selbstbedienungsladen. Dem eigenen Anspruch, ein Theater zu führen, „das sich durch Kontinuität und Professionalität der Arbeit auszeichnet“, wie Vorstand Niyazi Turgay einst formulierte, wird man nicht gerecht. Noch nach jedem Stück bisher wurden die Regisseure gewechselt.

Der Journalist Aydin Engin, der 1990 das bisher erfolgreichste Stück in der Geschichte des Tiyatrom aufführen ließ, „Hochzeit in Kreuzberg“, soll jetzt als Retter in der Not einspringen. Die Proben für sein neues Stück „Eine Braut flog über Kreuzberg“ begannen Mitte Dezember, die Aufführung Ende Januar soll, so hofft man, wieder bessere Tage einläuten. Zu oft spielte man in der Vergangenheit mangels Interesse vor leeren Rängen.

Ob mit einer gelungenen Inszenierung gleich der große Umschwung kommt, ist zweifelhaft. Doch ohne radikale Kehrtwende verkommt das Tiyatrom zu einer „Wärmehalle mit Teeausschank“, meint Bühnenbildner Karsten Schulze. Dann würde es wohl geschlossen. So weit darf es aber nicht kommen, findet der Kritiker Yalcin Baykul, „dann würde sogar ich auf die Barrikaden steigen. Das Tiyatrom ist eine Chance, aber sie wird vertan.“