Nachschlag

■ August Stramms „kräfte“ im Schoko-Laden inszeniert

Statt den Freund ihres Mannes zu küssen, nimmt die Frau lieber das glimmende Ende seiner Zigarette in den Mund. Zwei Paare spielen mit dem Feuer, wissentlich und voller Lust am Untergang. Am frühen Abend stoßen sie, hysterisch fröhlich, noch miteinander an. Nach Mitternacht liegt ein Toter im Raum. Dazwischen ein paar Sätze aus zwei oder drei Silben, Gelächter, Geschrei. August Stramms expressionistisches Drama „kräfte“ verlangt den Schauspielern einiges ab: „Sie rast, zertritt, stampft, schleudert, schlägt die Luft, stößt den Fuß, erschrickt.“ Die extrem verkürzte Sprache stellt allein noch keine Zusammenhänge her, erst im stummen Spiel der Darsteller scheint eine rudimentäre Handlung auf. Die beiden jungen Männer (Roland Kühnke, Roger Döring), in ihrer zuckrigen Galanterie fast austauschbar, machen der Frau des jeweils anderen den Hof. Im Mittelpunkt steht „sie“, hypernervös und bebend vor Energie. Maria Piniella, zuletzt am Schiller-Theater engagiert, zieht als expressionistische Femme fatale sämtliche Register. Ihre heftig-exaltierten Bewegungen, die lodernden Glutaugen und ein nervöser Tick um den Rosenmund ziehen alle Blicke auf sich. Ihre weniger energische Freundin (Barbara Cremer) bleibt dagegen etwas blaß.

Stramms Stück spart nicht mit deutlichen Symbolen: Ein Käuzchenschrei läßt Böses ahnen, und am Anfang wehen welke Blätter ins Zimmer. Im Schoko-Laden hat man gleich die ganze Bühne damit bestreut, brutal zerrupft die Frau das tote Laub, und selbst die Blumen in der Vase sind verwelkt. Obacht, Vergänglichkeit! Da macht ein Hauch mich von Zerfall erzittern! Sonst ist das Bühnenbild (Benita Roth) realistisch und sehr schön mit den blaßblauen Stoffwänden und dem liebevoll auf kleinen Tischen verteilten Krimskrams. Die Inszenierung von Holger Papp – seine erste eigene Regiearbeit nach der Regieassistenz an den Hamburger Kammerspielen – erfindet weitere Symbole: Zu Beginn stellt die Frau eine zerbrochen am Boden liegende Statue aufs Piedestal, die am Ende wieder umgestoßen wird. Bruchstückhaft ist nicht nur die Sprache des Stücks, sondern sind auch die Menschen und ihre Beziehungen.

Seinen antiquarischen Charakter wird das Stück nicht los. August Stramms einsilbige Kraftmeierei wirkt ermüdend und manchmal auch ein bißchen unfreiwillig komisch, vielleicht gerade weil die Inszenierung eine nachvollziehbare Geschichte erzählt – die banale Eifersuchts- und Duell-Story scheint den Sprachdonner nicht zu rechtfertigen. Es bleibt ein lyrischer Sturm im Wasserglas. Miriam Hoffmeyer

Weitere Vorstellungen, heute bis 23.12. und 28.–30.12. um 20 Uhr, Schoko-Laden Mitte, Ackerstraße 169–170, Mitte.