Anschläge auf prokurdische Zeitungen

Ein Toter und 17 Verletzte in Istanbul / Mitarbeiter machen Geheimdienst für Attentate verantwortlich / Nationaler Sicherheitsrat für schärferes Vorgehen gegen kritische Medien  ■ Aus Istanbul Ertugrul Kurkeu

Die prokurdische Tageszeitung Özgür Ulke ist am frühen Samstagmorgen Opfer mehrerer Sprengstoffanschläge geworden. Ein Zeitungsausfahrer wurde dabei getötet, 17 Mitarbeiter wurden zum Teil schwer verletzt.

Die Explosion zweier Sprengsätze in dem dreistöckigem Redaktionsgebäude in Istanbul war so stark, daß sie das ganze Haus zum Einsturz brachte. Zur Zeit der Explosion befanden sich 19 Personen im Redaktionsgebäude. Außerdem detonierte eine Bombe in einem Verwaltungsgebäude des Verlags im Bezirk Cagaloglu und zerstörte die beiden oberen Etagen, in denen sich die Räume von Özgür Ulke befanden. Bei einem weiteren Anschlag auf die Zweigstelle der Zeitung in Ankara wurde das gesamte Gebäude zestört. Bei diesen beiden Attentaten wurde niemand verletzt.

„Dies ist ein geplante und kaltblütig organisierte Aktion“, sagte der Bürgermeister von Istanbul, Hayri Kozakcioglu, in einer Stellungnahme vor Journalisten, die er vor dem zerstörten Redaktionsgebäude abgab. Zunächst machte er keine Angaben zu den Hintergründen oder möglichen Tätern. „Wir müssen warten, bis das Gebäude sich abgekühlt hat“, sagte er, „dann könnten wir Hinweise auf die Explosion finden.“ Nach dem Anschlag wurden überraschend sieben Mitarbeiter der Özgür Ulke auf dem Weg zur Arbeit festgenommen. Der Anwalt der Zeitung, Keskin, sagte, die Polizei rechtfertige die Festnahmen mit einer späteren Gegenüberstellung mit den Tatverdächtigen.

Die Verantwortlichen von Özgür Ulke gehen davon aus, daß der staatliche Geheimdienst hinter dem Anschlag steckt. „Die Verantwortlichen müssen im Staat gesucht werden, dafür muß man nicht das Gebäude untersuchen“, sagte der Herausgeber von Özgür Ulke, Baki Karadeniz, in einer öffentlichen Stellungnahme am Samstag in Istanbul. „Die oberflächlichen Untersuchungen werden zu nichts anderem führen, als von den wahren Tätern abzulenken.“

Sogar der türkische Präsident Süleyman Demirel brachte den Anschlag mit verantwortungslosen Elementen im Staat in Verbindung. „Die zu Bestrafenden müssen vom Staat selbst verfolgt werden“, sagte Demirel am Samstag vor Journalisten. „Wenn die Gesetze von unverantwortlichen Individuen durchgesetzt werden, schadet das dem Staat selbst. Gegen die Mißstände muß mit den Mechanismen der Justiz vorgegangen werden“, sagte Demirel und drückte sein Bedauern über die Vorkommnisse aus. Damit spielt Demirel auf eine Empfehlung an, die der Nationale Sicherheitsrat (MGK) kürzlich gegenüber der Regierung ausgesprochen hatte. Am Mittwoch hatte der MGK unter anderem eine striktere Kontrolle der „separatistischen“ und „fundamentalistischen“ Blätter angeraten.

Nach Medienberichten war das militärische Oberkommando unzufrieden mit Publikationen, in denen „separatistische Terroristen“ als „Guerillas“ und die staatlichen Kräfte als „Feinde“ bezeichnet wurden. Die Empfehlung des MGK bezog sich vermutlich auf Özgür Ulke, die für ihre offene Kritik an der türkischen Politik gegenüber den Kurden und ihrer Sympathien für die Kurdische Arbeiterpartei PKK bekannt ist, die einen Guerillakrieg gegen den Staat führt. Trotz täglicher Zensur und offiziellem und inoffiziellen Druck seit ihrer ersten Ausgabe ist ÖzgÜr Ulke, die im Juni 1992 unter dem Namen Özgür Gündem das erste Mal erschien, Sprecherin aller kurdischen Belange, die der PKK inbegriffen.

„Der Anschlag ist zeitlich genau mit dem KSZE-Treffen abgestimmt“, sagt der Herausgeber von Özgür Ulke. „Sie wollten die Zeitung zum Schweigen bringen, weil sie das einzige Sprachrohr in der Türkei war, in dem der von der PKK angebotene Waffenstillstand diskutiert wurde, der auch von der KSZE empfohlen worden war.“