■ Vom Nachttisch geräumt
: Zitatfreier Raum

Mario Praz war Komparatist. Ein Ironiker. Ein Gelehrter, dessen Bücher aus fußnotenkleinen Essays bestehen. Max Looser ediert und übersetzt die Arbeiten des 1982 gestorbenen Italieners. Er versieht die Texte, die sich lesen wie Anmerkungen zu großen Arbeiten, mit Fußnoten. Den das Buch nur durchblätternden Betrachter wird das abstoßen. Es kommt vor, daß die Erläuterungen länger sind als der Text. Wer sich aber von dem Spiel mit einer ausgestorbenen Form des Wissens nicht abstoßen läßt, der wird bald fasziniert sein und sich in dem Band verlieren. Praz' Essays reichen von Reflexionen über die mitleidlose Ästhetik, die uns abgeschnittene Blumen als schön empfinden läßt, über die Rezension einer vierbändigen Geschichte der Frau bis zu einer Erörterung der Frage „Wie die Carmen entstand“. Praz kennt sich überall aus. Nein. Er kennt alles Gedruckte. Er schreibt nur über Gedrucktes. Das Leben ist ihm kein Thema. Er schiebt zwischen sich und die Welt die Bücher. Aber er tut es so geschickt, daß zwischen den Büchern immer wieder ein Stück Leben hindurchschaut. Dieser schmale Ausschnitt gewinnt dann eine Intensität, die er ohne die Sichtblenden nie gehabt hätte. Bei Praz drängt ein Zitat ans andere. Er hat den Horror des zitatfreien Raumes. Er ist dabei nicht ruhig, wie man sich einen Gelehrten vorstellt. Er jongliert mit seinen Lesefrüchten nicht souverän, wie er es als Meister seines Faches könnte; er verhaspelt sich, wirft sie durcheinander, wie im Zirkus der Clown seine Schachteln. Am Ende aber entdeckt man, daß die scheinbaren Abschweifungen, das Versteckspiel hinter den Masken immer entlegenerer Autoren, nichts sins als seine Mittel, sich ins Spiel zu bringen. Kennt man Praz, so findet man ihn in seinen Texten mitten zwischen den Zitaten wie Hitchcock in der Schlange vor dem Bus.

Sein Herausgeber weist jedes Zitat nach. Scheinbar verwandelt er das Spiel mit der Gelehrsamkeit in akademischen Ernst. Aber dann macht er sich selbst auf die Suche. Er zieht Texte heran, auf die nicht einmal Praz kam. Ältestes und Allerneuestes. Auch die taz. Heide Gerstenbergers Artikel über Hobsbawm. Auch eine Rezension. Die Welt besteht nur noch aus Rezensionen. Looser macht Praz' Spiel kenntlich. Durch Übertreibung. Seine Praz-Edition ist die beste, und seine Übersetzung ist nicht zu überbieten. Für Bibliomanen gibt es ein Buch des Jahres.

Mario Praz: „Der Garten der Erinnerung“. Essays Band 1. Aus dem Italienischen übersetzt, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Max Looser. S. Fischer 1994, 415 Seiten, 58 DM