„Die Ohnmacht der Kundschafter“

Aus den Tiefen des Kalten Krieges tauchten am Wochenende altgediente Spione zu einem Plauderstündchen im Frankenlande auf / Eine Komödie mit Zuspitzungen  ■ Von Jürgen Gottschlich

Aschaffenburg (taz) – „Die Macht der Spione“: Da konnte Markus Wolf nur weise den Kopf schütteln. „Die Macht der Spione wird doch vielfältig überschätzt. Wenn ich mir das vom Ergebnis her anschaue, würde ich doch eher von der Ohnmacht der Kundschafter reden.“ Das fanden seine Gegner dann aber doch ein bißchen tiefgestapelt: „An Ihnen, Herr Wolf“, so bekannte Johannes Gerster, Vorsitzender der parlamentarischen Kontrollkommission des Bundestages, „hat es sicher nicht gelegen, daß die DDR aufgeben mußte. Ich habe größte Hochachtung vor den Ergebnissen Ihrer Arbeit.“

Die Bühne für den Small talk aus den Tiefen des Kalten Krieges bot am Wochenende das Stadttheater im fränkischen Aschaffenburg. Das hat mit einem Mann zu tun, der als erfolgreicher Fernsehjournalist seiner Geburtsstadt etwas Gutes tun wollte und deshalb vor Jahren die „Aschaffenburger Gespräche“ kreierte, die diesmal die Macht der Spione zum Thema hatten. Der Mann heißt Guido Knopp, und wie es der Zufall so wollte startete gestern die ZDF- Serie „Top-Spione, Verräter im Geheimen Krieg“, die ebenfalls Journalist Knopp produziert hat. Tatsächlich war es Knopp gelungen, in dem Städtchen eine Runde zu versammeln, die den Aschaffenburgern zwar nicht ganz geheuer war, sie aber dennoch in Scharen ins Theater trieb. Wann hatte man denn auch schon mal den ehemaligen KGB-Chef, den ehemaligen HVA-Chef und den ehemaligen BND-Chef zusammen auf einer Bühne erlebt? Als Garnierung gab es noch Alexander Schalck-Golodkowski, der zwar immer wieder betonte, nie spioniert zu haben, aber trotzdem ganz gut in die Runde paßte – und Johannes Gerster, der als Ersatz für Kohls „008“ Bernd Schmidbauer antrat.

Nach einer Sicherheitskontrolle, die für eine El-Al-Maschine gereicht hätte, bekannte der fränkische Oberbürgermeister in seiner Begrüßung freimütig, daß ihn beim Thema Spionage zuallererst der Name Mata Hari einfalle, die Darsteller in seinem Theater aber doch ganz anders aussähen. Die Vorstellung, die diese dann boten, entsprang in aller Regel dem Genre Komödie, allerdings mit einer dramatischen Zuspitzung, die sich wiederum Journalist Knopp ausgedacht hatte. Nachdem KGB- Mann Schebaschin, der in den zwei Tagen durchgängig die Rolle des Bösewichts spielte, wieder einmal ganz treuherzig beteuert hatte, die oberste Parole des KGB sei gewesen: „keine Gewalt“, präsentierte ihm Knopp einen Überraschungsgast. Im Publikum erhob sich ein Oleg Gordiewski, Ex-KGB-Mann, der Mitte der 80er Jahre zu den Briten übergelaufen war und nun die Grausamkeiten seiner früheren Kollegen anprangern wollte. Doch bei Schebaschin geriet er an den Falschen. Fröhlich grinsend und ohne erkennbare Emotion verkündete der ganz cool: „Fragen von Verrätern beantworte ich nicht.“ Nebenbei teilte er dem 1985 in Moskau in Abwesenheit zum Tode Verurteilten Gordiewski noch mit, er solle sich besser auch heute nicht dort sehen lassen.

Nicht ganz so rigide gab sich Markus Wolf. Obwohl er keinen Hehl daraus machte, daß er Schalck-Golodkowski, der sich kurz nach der Maueröffnung in den Westen verdrückt hatte und den Wolf in Aschaffenburg zum ersten Mal wieder traf, ebenfalls für einen Verräter hält, hielt er sich mit Anschuldigungen zurück. Schalck, der mittlerweile von seinen westdeutschen Partnern beim BND und der Bundesregierung zutiefst enttäuscht ist, hatte sich da offenbar mehr von Wolf erhofft. Hätte Wolf gewußt, daß Schalck da ist, wäre er nicht gekommen, erklärte der ehemalige HVA-Chef am Rande der Veranstaltung.

So blieb Schalck, der Spionagevorwürfe natürlich weit von sich wies, nur ein rückwärtsgewandter Trost. Die Anerkennung, die ihm ein Mann wie Franz Josef Strauß entgegengebracht hatte, lasse ihn noch heute fest daran glauben, daß er damals auf dem richtigen Weg war. „Deshalb freut es mich auch, daß die Bayern im Gedenken an Strauß so gewählt haben, wie sie gewählt haben“, outete sich der ehemalige Devisenbeschaffer der DDR dann als CSU-Fan.

Der eigentliche Prügelknabe von Aschaffenburg wurde jedoch nicht der böse Russe, sondern der arme Heribert Hellenbroich. Empörte Franken wollten von ihm vor allem wissen, warum der BND nicht in der Lage gewesen wäre, uns vor der Übernahme der maroden DDR zu warnen. Sie könne nicht glauben, ereiferte sich eine Pensionärin, „daß Sie nicht gewußt haben, wie pleite die drüben waren.“ Da half Hellenbroich alles Lamento über die beschränkten Möglichkeiten des Geheimdienstes nichts, die Menge fühlte sich betrogen. Als er dann zur Ehrenrettung des BND darauf verwies, daß sie die Bundesregierung beim Einmarsch des Warschauer Paktes in Prag frühzeitig informiert hätten, merkte Gerster nur trocken an: „Das war ein Abfallprodukt des Mossad.“