Der Fremde

Burt Lancaster, der sich durch das gesamte amerikanische Nachkriegskino spielte, ist tot  ■ Von Willi Winkler

Eine Zeitlang konnte man bei einschlägigen Gesprächen einen schönen Distinktionsgewinn einfahren, wenn man das allgemeine Lob des Schauspielers Burt Lancaster mit der Bemerkung aplombierte, der sei doch, wie jedermann wisse, schwul. Sprach ja auch genug dafür: Er kam nicht bloß, wie einem jeder schnell erzählen konnte, als Akrobat vom Zirkus zum Film, bestand deshalb späterhin darauf, auch gefährliche Rollen, die Krafteinsatz und den ganzen Mann erforderten, ungedoubelt, also selber zu spielen; nein, dieser akrobatische Burt Lancaster mit seinen goldenen Locken, diesem unvergleichlichen Gebiß, mit dem er sich, wenn's sein mußte, hoch oben in der Kuppel festhielt, war auch einmal Tänzer gewesen und während des Zweiten Weltkriegs zur Truppenbetreuung abkommandiert. Nicht sehr männlich.

Burt Lancaster, der am Freitag nach längerer Krankheit im Alter von achtzig Jahren gestorben ist, kommt aus jener fernen Kino-Zeit, als sich auch die Männer noch was gleichsahen im Film und jedenfalls rechtfertigten, daß man ihnen möglichst nah sein, alles über sie wissen wollte: Frauen, Häuser, Ticks, alles. Regisseure gab es damals ja nur als Kontraktarbeiter; sie hatten sich in jedem Fall den Stars zu unterwerfen.

Dieser Burt Lancaster spielte sich in siebzig Filmen durchs gesamte amerikanische Nachkriegskino, erst im Film noir, dann im Cinemascope-Western und in epischen Werken wie „Verdammt in alle Ewigkeit“ oder „Elmer Gantry“, die sich auch Unterhaltungsverächter zur Abwechslung vom Stadttheater gerade noch ansehen konnten. Später nahm er den einen oder anderen Katastrophenfilm mit und erblühte nach der Flaute der Sechziger aufs neue in kleinen Filmen häufig europäischer Regisseure. Seit Viscontis „Leopard“ (1963) galt er den Amerikanern ohnehin als abendländisches Bildungsprogramm. Ein Fremder in einem fremden Land.

Einer der nicht weiß, wie ihm geschieht

Schon sein allererster Film „The Killers“ (Rächer der Unterwelt, 1946) zeigte ihn als Fremden, der er merkwürdigerweise immer blieb. Lancaster spielte den Boxer Swede, der im Halb-und Ganzdunkel liegt und auf seine Mörder wartet. Er hat, erfährt man im Verlauf der Nachforschungen, die Edmond O'Brien über seinen existentialistischen Tod anstellt, er hat den Tod, seinen eigenen, nicht bloß billigend in Kauf genommen, sondern als gerechte Strafe betrachtet. Er wollte sein verfehltes Leben abbüßen. Eine Frau, natürlich eine Frau, schön wie die Sünde, böse wie eine Teufelin, verführte ihn erst, verriet ihn dann, die schönste Ava Gardner, die es je gab.

Dieser jederzeit Pin-up-fähige Boxer-Körper, den man gar nicht erst in Nahaufnahme zu filmen brauchte, damit er die Breitwand ausfüllte, ließ ihn noch fremder und seltsamer erscheinen: Einer wie er hätte sich doch zu wehren gewußt. In „Sorry, Wrong Number“ (1948) bestellt er selber die Killer, um seine Frau, Barbara Stanwyck, umzubringen, wieder scheint er nicht zu wissen, wie ihm geschieht. Er ist groß und stark, aber er kann nichts tun, läßt es geschehen.

In der seltsam weltfremden, zweifellos authentischen Geschichte von Robert Stroud, der im Gefängnis von Alcatraz einen Totschlag abbüßt, indem er Vögel pflegt, immer mehr davon, bis die Käfige und das Getschilpe seine gesamte Zelle ausfüllen, sein Bedarf an Vogelfutter das Ministerium beschäftigt und seine Vogel- Medizin ihn zur ornithologischen Koryphäe macht, hat Lancaster dieses Unpassende, das Widerstreitende bis zum masochistischen Wahn getrieben: Der Lebenslängliche verbietet es schließlich sogar seiner Mutter, sich weiter um seine Freilassung zu bemühen. Burt Lancaster war selber der Produzent des „Gefangenen von Alcatraz“.

Über Nacht fast alterte der Muskelmann, wechselte, wie es bei SchauspielerInnen heißt, ins Charakterfach. Nur wenige Jahre, nachdem er in „Trapez“ und im „Roten Korsar“ den schönsten Busen der Welt gezeigt hatte, ließ er sich zum alten Mann umschminken, wurde, als wäre er nicht im ärmsten New York zur Welt gekommen, sondern im herzoglichen Palazzo, der Fürst Salina in Luchino Viscontis „Leopard“. In „Bellissima“ (1951) schwärmt die Maddalena noch von dem männlichen amerikanischen Schauspieler Lancaster; zwölf Jahre später gehört er in die dekadente Filmwelt Viscontis, ein Italiener, wenn es je einen gab. Der Körperkünstler mußte plötzlich gemessen schreiten, besprach mit seinem Neffen Alain Delon weltgeschmerzt alteuropäisch das Heraufkommen der neuen Zeit und sollte das Vergehen der alten sogar selber befördern. Resigniert wegen der eigenen vergangenen Jugend und als letztes Glück darf er seine neue Nichte zum Tanz führen. „Die Dinge müssen sich ändern, um die gleichen zu bleiben.“ Neureich und verarmte Aristokratie versöhnen sich in diesem wunderbaren Visconti-Sizilien, und der Fürst schwindet hin.

Im Alter ein europäischer Star

„Die meisten Leute glauben, ich würde mich mit dem Flammenwerfer rasieren“, sagte Burt Lancaster einmal, „dabei bin ich eher lebensfremd und selbstquälerisch.“ Die sechziger Jahre wußten wenig mit ihm anzufangen, die Filme wurden immer belangloser, er scheint sich nicht mehr besonders dafür interessiert zu haben. Aber er war allzeit bereit: 1968 in „Der Schwimmer“ präsentierte er einen noch immer makellosen Körper.

Er wäre nicht schlecht gewesen als Thomas Manns Schriftsteller Gustav von Aschenbach, der sich am Lido in Venedig in den Knaben Tadzio verliebt, auch ihm hätte in der aufsteigenden Cholera-Hitze die Haarfarbe übers Gesicht laufen können (es gibt eine apokryphe Geschichte, nach der sich der Schauspieler Lancaster vor einigen Jahren eine schwere Allergie wegen eines Haartönungsmittels zugezogen hat), aber den spielte dann Dirk Bogarde.

In „Gewalt und Leidenschaft“ (1975), noch einmal bei Visconti, trat Lancaster fremder auf denn je, ein Professor, der in seiner mahagonidunklen Wohnung entrückt Gemälde und Reproduktionen studiert und sein Glück schon darin findet, wenn er Korrespondenzen entdeckt, ein Rokoko-Pavillon hier und auch da. Bis ihn noch einmal die Jugend anfällt, die Schönheit in Gestalt von Helmut Berger, auch eher eine schwule Phantasie. Fremd steht er diesmal in der Drogenparty der Jungen herum, keine Claudia Cardinale mehr, die er zum Tanz führen könnte. Die Zeit des fürstlichen Leoparden ist vorbei.

Die Europäer erkannten ihn, gaben ihm Rollen, in denen er sich und der Welt fremd bleiben durfte, nicht von hier, nicht von heute: bei Louis Malle in „Atlantic City“, bei Bill Forsyth in „Local Hero“. Sogar Bernhard Sinkel konnte ihn noch engagieren für seine IG-Farben-Geschichte „Väter und Söhne“. In Bernardo Bertoluccis herrlich sentimentalem Jahrhundertwerk „1900“ spielte Burt Lancaster den Großgrundbesitzer aus der Emilia-Romagna, der sich am Ende ohne Angabe von Gründen in seinem Stall aufhängt. Ein Fremder in einer fremden Welt.