Mord an der Öffentlichkeit

■ Die algerische Presse streikt gegen Gewalt der Fundamentalisten / Neuer amnesty-Bericht

Paris (taz) – Über zehntausend Menschen wurden in Algerien ermordet, seit 1992 der Ausnahmezustand erklärt wurde, meldet amnesty international in ihrem Algerien-Bericht, der in ein paar Tagen veröffentlicht wird. Einer von ihnen ist Farrah Ziane, Chefredakteur der Wochenzeitung Révolution africaine. Die Meldung von seiner Ermordung lief gestern über die Ticker. Als Täter werden religiöse Fanatiker vermutet – wie bei einem französischen und einem italienischen Ingenieur, die einen Tag zuvor erschossen wurden. Farrah Ziane wurde, wie fast alle in- und ausländischen Journalisten, die in den letzten zwei Jahren ermordet wurden, vor seiner Wohnung angegriffen.

Die meisten der Toten, die amnesty international vermeldet, gehen auf das Konto der antiislamistischen Maßnahmen des algerischen Militärregimes. Hunderte von Personen wurden von den Sicherheitskräften ohne Gerichtsverfahren exekutiert. Zu den Opfern gehören Fundamentalisten oder Personen, die von den Sicherheitskräften als Fundamentalisten verdächtigt werden. Die Menschenrechtsorganisation zählt außerdem Folterungen, Verschleppungen und Zensurmaßnahmen des Regimes auf.

„Bewaffnete islamistische Gruppen“, schreibt amnesty, „haben ihrerseits Hunderte von Zivilisten willkürlich ermordet, darunter Personen, die als Gegner des Islamismus öffentlich bekannt waren, Journalisten und Intellektuelle, Frauen, Beamte und Würdenträger.“ Sechzig Ausländer, vor allem Franzosen, gehören zu den Mordopfern.

Als besondere Spezialität des algerischen Fundamentalismus kann der systematische Mord an Journalisten gelten, aber auch „Verkäufer französischsprachiger Zeitungen und Tabakwaren, die von der ,Groupe islamique armé‘ (GIA) ,verboten‘ wurden, können zur Zielscheibe werden“. Die Zahl der seit Mai 1993 in Algerien ermordeten Journalisten ist mit dem Attentat auf Farrah Ziane auf 20 – oder nach anderen Statistiken – auf 23 gestiegen.

Sechs algerische Zeitungen befinden sich seit Mittwoch in einem Streik gegen die Terrorwelle. In ihrem Kommuniqué machen sie die militanten Islamisten für die Morde verantwortlich. Zugleich richten sie schwere Vorwürfe gegen die Staatsmacht, die ihnen zuwenig Schutz gibt. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) teilt diese Einschätzung: „Der Schutz für Journalisten ist völlig unzureichend“, erklärte ein Sprecher von RSF in Paris. Dorothea Hahn/Thierry Chervel

Tagesthema Seite 3