Mißbrauch zum eigenen Lustgewinn

Im Flachslanden-Prozeß wurde eine Mutter wegen des mehrfachen sexuellen Mißbrauchs und wegen Vergewaltigung ihrer eigenen Töchter zu zehn Jahren Haft verurteilt  ■ Aus Ansbach Bernd Siegler

Den Kopf auf die Hände gestützt, den Blick auf den Boden gerichtet, nahezu teilnahmslos nimmt die 35jährige Angelika T. ihr Urteil entgegen. Die Jugendkammer des Landgerichts Ansbach verurteilte die 35jährige wegen zwanzigfachem sexuellen Mißbrauchs, mehrfacher Vergewaltigung und sexueller Nötigung der eigenen Töchter zu zehn Jahren Haft. Sie habe die Taten zu „ihrem eigenen Lustgewinn“ begangen. Nach dem Urteilsspruch bricht Angelika T. weinend zusammen.

Angelika T. und ihr Mann stehen im Mittelpunkt der bislang größten Prozeßserie wegen des sexuellen Mißbrauchs von Mädchen. In Flachslanden, einem kleinen Dorf in Mittelfranken, haben nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen 21 Erwachsene über Jahre hinweg neun Kinder massiv sexuell mißbraucht. Hauptopfer sind die vier Töchter von Angelika T., die älteste zur Tatzeit gerade mal zehn Jahre alt.

Schon kurz nach ihrer Festnahme legte T., im Gegensatz zu ihrem Ehemann, ein umfangreiches Geständnis ab. Sie belastete nicht nur sich, sondern auch eine ganze Reihe ihrer Verwandten und FreundInnen. Damit habe sie, so Richter Peter Heckel, einen „wesentlichen Beitrag zur Aufklärung“ der Mißbrauchsserie geleistet. Deswegen blieb das Gericht auch zwei Jahre unter dem Strafantrag des Staatsanwalts.

Die 35jährige, die selbst in ihrer Grundschulzeit ein Heim für Geistig- und Lernbehinderte besuchte, dann als Hilfsarbeiterin arbeitete, schließlich den 20 Jahre älteren Rudi T. heiratete und in schneller Folge sechs Kinder zur Welt brachte, räumte nicht nur ein, daß sie sich in regelmäßigen Abständen von ihren Töchtern oral befriedigen ließ. Sie gab auch zu, zugesehen zu haben, wie verschiedene Männer mit ihren Töchtern den Geschlechtsverkehr vollzogen. Wenn sich die Mädchen versuchten zu wehren, wurden sie von der eigenen Mutter festgehalten. Es habe ihr Spaß gemacht und sie erregt, erzählte Angelika T. dem psychiatrischen Gutachter, der sie als „grenzdebil“ einstufte. Die von ihrem Verteidiger geforderte Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung lehnte das Gericht ab.

Die Jugendkammer kam in ihrem Urteil zu dem Ergebnis, daß T. genau gewußt habe, daß ihr Verhalten nicht erlaubt sei. „Ein Wort von ihnen hätte genügt, und der Spuk wäre für die Kinder vorbei gewesen“, betonte Richter Heckel gegenüber der Mutter. Da Angelika T. „in der Gruppe von Verwandten und Freunden sicherlich nicht in der Lage gewesen ist, ihr Tun entsprechend zu steuern“, konstatierte das Gericht eine „erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit“. Dies reduziert den Strafrahmen um ein Viertel nach unten. Mit einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren rangiert der Urteilsspruch nahe an der zulässigen Höchststrafe von 11 Jahren und drei Monaten. Ein Urteil, gegen das Angelika T.s Verteidiger Revision einlegen will.

Bisher sind im Fall Flachslanden zehn Angeklagte zu Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt worden. Die meisten Urteile sind bereits rechtskräftig, auch das gegen den 36jährigen Siegfried R. In seinem Verfahren wird die Staatsanwaltschaft jedoch erneut aktiv werden. R. war im April wegen sexuellen Mißbrauchs zu viereinhalb Jahren verurteilt worden. Er hatte damals ein Teilgeständnis abgelegt. Sein relativ niedriges Urteil hatte er, so Richter Heckel, „an erster Stelle seinem Geständnis“ zu verdanken. Genau dieses Geständnis widerrief er jedoch als Zeuge im Verfahren gegen Angelika T. „Ich ziehe es vor, viereinhalb Jahre in den Knast zu gehen, als zwölf Jahre aufgrund der Aussagen schwergeschädigter Kinder.“ Staatsanwalt Hüttner hatte damals zähneknirschend das Geständnis akzeptiert und den brisanten Anklagepunkt der Mädchenprostitution vorläufig eingestellt.

Laut ursprünglicher Anklage soll R. zusammen mit Angelika T. die Mädchen nach Nürnberg gefahren haben, wo sie dann an zahlende Freier weitergereicht wurden. Sowohl R. als auch Angelika T. bestritten dies vehement.

Gerade die Frage der Prostitution würde den Kreis der betroffenen Erwachsenen über Flachslanden hinaus erweitern. Er würde aber auch den Kreis der oft als geistig minderbemittelt, „grenzdebil“ oder „sozial schwach“ eingestuften Personen ausdehnen, die bisher auf der Anklagebank saßen. Daß der Skandal von Flachslanden keine Frage eingeschränkt zurechnungs-, schuld- und einsichtsfähiger Täter ist, beweist auch die Beteiligung des Dorfarztes und des Vaters der vier Mädchen, Rudi T., am sexuellen Mißbrauch.

Rudi T. muß sich ab heute vor dem Ansbacher Landgericht verantworten.