Frommer Pflichtprotest

■ betr.: „So geht das alles viel schnel ler“, taz vom 12.10.94

Der Bundesumweltminister legt der niedersächsischen Landesregierung einen Genehmigungsentwurf mit Sofortvollzug für das Atomlager Schacht Konrad vor. Und immer wenn Töpfer in Sachen Atomindustrie etwas vorschlägt oder anordnet, beschweren sich SPD-geführte Landesregierungen. Leider wirkt das nicht besonders ernstgemeint, sondern wie ein frommer Pflichtprotest.

Daran ändert auch das Sandmännchen aus Lahnstein nichts, das heute in der ARD-Sendung „Ihre Wahl '94“ die Frage, wie denn nun die SPD zur Atomkraft stehe, erst einmal geflissentlich überhört. Denn Scharpings eigener Wirtschaftsminister in Mainz unterstützt laut jüngstem Jahresbericht mit seinem gesamten Ministerium aktiv das Deutsche Atomforum, die Propagandazentrale der Atomwirtschaft!

Und tatsächlich wird die atomare Geiselnahme gerade mit Hilfe der SPD fortgesetzt! Vor den Sommerferien hat der Bundesrat, in einem wahren Coup, der Atomindustrie einen Herzenswunsch erfüllt. Der von der SPD dominierte Bundesrat hat das sogenannte „Artikelgesetz“, mit dem das geltende Atomgesetz (AtG) verwässert wird, völlig überraschend nicht gestoppt, sondern großzügig passieren lassen. Damit hat die Nuklearindustrie ihr „atomares Ermächtigungsgesetz“, mit dem der Weg in die nukleare Sackgasse wider alle Vernunft zementiert wird. Durch Neuformulierung des § 7a Atomgesetz wurde der Rechtsschutz für betroffene Bürger ausgehebelt. Trotz eines vernichtenden Gutachtens des Bundesrechnungshofes wird die Ausplünderung der Steuerzahler fortgesetzt, in dem an der unwirtschaftlichen und gefährlichen Wiederaufarbeitung festgehalten wird. Gegen alle wirtschaftliche Vernunft werden mit dem Artikelgesetz die Bürger weiter mit unvorstellbaren Hypotheken beladen. Geradezu grotesk ist auch der vorgesehene Bestandsschutz für Altanlagen. Hier schützt man nicht etwa die Bevölkerung vor den Gefahren der Atomkraft, sondern die gefährliche Atomkraft vor der Bevölkerung. B. Keller, Mainz