Serienkolonie Europa

■ 60 Prozent der besten TV-Sendezeiten kontrollieren US-Medienkonzerne

Noch herrscht bürokratisches Chaos auf den Fernsehmärkten Westeuropas: Briten zum Beispiel dürfen so viele TV-Satellitenstationen besitzen, wie sie wollen. In Italien hingegen, wo Medienzare sogar Regierungschefs werden können, ist die Zahl pro Person auf drei, in Frankreich auf eine Station begrenzt.

Dieses Durcheinander soll jetzt vereinheitlicht werden. Unter Anleitung des italienischen Binnenmarktkommissars Raniero Vanni d'Archirafi bereitet die Euro-Behörde ein EU-weites Regelwerk für die elektronischen Medien vor. Wichtigstes Ziel: Die nationalen Eigentumsvorschriften sollen harmonisiert werden, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Medienindustrie zu retten. Im Mittelpunkt steht dabei nicht nur die Verbesserung der Wachstumschancen des herkömmlichen Fernsehens, sondern besonders die der neuen elektronischen Dienste.

Unterstützung bekommt Vanni d'Archirafi von seinem für Kommunikationstechnologien zuständigen Kollegen Martin Bangemann. Einer weiteren Zersplitterung des Binnenmarktes durch neue einzelstaatliche Vorschriften, so das deutsch-italienische Gespann, müsse um jeden Preis vermieden werden. Denn nur eine EU-Regelung garantiere den Unternehmen genügend Rechtssicherheit für ein grenzüberschreitendes Engagement. Gleichzeitig sollen jedoch, so Bangemann, „Eigentumsverhältnisse am Medienmarkt vermieden werden, die die Meinungsvielfalt bedrohen könnten“. Die herkömmlichen wettbewerbspolitischen Instrumente der Union und der Mitgliedsstaaten seien dafür nicht ausreichend.

Wie die Kommissare den Spagat zwischen dem Erhalt der Meinungsvielfalt und der Förderung von Medienkonglomeraten schaffen wollen, die es mit den Großen der Welt aufnehmen, ist allerdings noch unklar. Ein besseres Kriterium für die Wachstumsbegrenzung als die Anzahl der bereits besessenen Fernsehstationen, so wird in der EG-Behörde argumentiert, könnte die Größe der Fernsehgemeinde sein, die von dem expansionswilligen Imperium betreut wird. Problematisch ist dabei jedoch, wie die Größe des jeweiligen Publikums gemessen werden kann und wer das Expansionslimit festsetzt. Noch problematischer ist das zweite zur Diskussion stehende Kriterium: die Anzahl und Bedeutung der anderen Medienunternehmen, die von dem expansionswilligen Imperium bereits kontrolliert werden.

Hintergrund der Initiative ist die auf den Datenautobahnen angeblich bereits weit voranpreschende japanische und US-amerikanische Konkurrenz sowie die explosionsartige Vermehrung der TV-Kanäle. Von 1980 bis 1992 stieg die Anzahl der Fernsehkanäle in Europa von 48 auf 185. Bald werden den potentiellen Veranstaltern über 500 Kanäle zur Verfügung stehen. Auch in Deutschland grassiert das Gründungsfieber. Die dritte Generation der Privatsender drängt bereits auf den über sieben Werbe-Milliarden schweren Markt: Sun TV und Kabelkanal 2 für die ältere Zielgruppe, ZAP-TV als elektronischer Programmführer und RTL Club als Mantelprogramm für die auf Ballungsgebiete spezialisierten Sender à la Hamburg 1.

Parallel zur Vermehrung der TV-Kanäle steigt die Anzahl der Programmstunden – von 1980 bis 1992 von 200.000 auf über 700.000, ein Nachfragezuwachs, den die europäischen Programmindustrien nicht befriedigen konnten. Für die US-Mediengiganten, die ihre Produktion bereits auf dem riesigen heimischen Markt versilberten, war es dagegen ein leichtes, der gestiegenen Programmnachfrage mit preiswerten Produkten nachzukommen. Vom Kinosektor ganz abgesehen, kontrollieren sie heute 25 Prozent des europäischen Fernsehmarktes und 60 Prozent der besten Sendezeiten. Die Europäer bestreiten gerade ein Prozent des US-amerikanischen Film- und Fernsehmarktes.

Dieses Ungleichgewicht, so befürchten die Euro-Medienstrategen, werde dank des Vorsprungs der US-Amerikaner und der Japaner bei den digitalen Übertragungstechniken in den nächsten Jahren sogar noch wachsen. Statt, wie bisher mit einem Kabel 30 Kanäle, können in Zukunft 300 – interaktiv – empfangen werden. Folge: Die bisherigen Mediengewohnheiten werden sich revolutionieren. „Der Weg in die Informationsgesellschaft“, so weiß man im Kabinett Bangemann, „ist unaufhaltsam.“ Allerdings sei mit dem Aufkommen des Abonnentenfernsehens (Pay-TV) sichtbar geworden, „wie sehr der europäischen Fernsehwirtschaft ihre Strukturschwächen zu schaffen machen.“ Und tatsächlich: Während die Medienkonzerne Telekom, Kirch und Bertelsmann noch an einem Pay-TV-Konzept basteln, werden in den USA bereits die ersten Erfahrungen mit dem interaktiven Fernsehen gemacht, das Telework, Teleshopping, Homelearning, aber auch neue Spielangebote ermöglichen wird.

Bevor allerdings die schöne neue Welt auch in Europa Einzug hält, müssen noch millionenfach neue Kommunikationszentralen in den Wohn- und Arbeitszimmern installiert oder zumindest die herkömmlichen TV-Geräte auf digitalen Empfang umgerüstet werden – eine zur Zeit knapp 1.000 Mark teure Angelegenheit. Außerdem ist die Frage der Zuständigkeit noch gar nicht geklärt: Die Europäische Union hatte bereits vor fünf Jahren eine ähnliche Initiative gestartet. Gegen die 1989 verabschiedete EU-Fernsehrichtlinie klagten jedoch die deutschen Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht – wegen Einmischung in ihre Kulturhoheit. Das Urteil wird für das kommende Jahr erwartet. Michael Fischer, Brüssel