Die ungeliebte Schutzmacht

■ Heute werden die westalliierten Soldaten am Brandenburger Tor mit großem Zapfenstreich aus Berlin verabschiedet / Wir erinnern an das Verhältnis der Linken zu den Alliierten und orientieren uns in künftigen ...

Heute werden die westalliierten Soldaten am Brandenburger Tor mit großem Zapfenstreich aus Berlin verabschiedet /

Wir erinnern an das Verhältnis der Linken zu den Alliierten und orientieren uns in künftigen Bannmeilen

Die ungeliebte Schutzmacht

Als der amerikanische Bundesrichter Herbert J. Stern 1979 in Westberlin einen Prozeß gegen Flugzeugentführer leitete, verschlug es ihm die Sprache. Wenn die Amerikaner, so schrieb er nach seinem Aufenthalt, in Berlin ein Gesetz verabschiedeten, gingen sie ganz einfach vor: „Sie schreiben es auf ein Blatt Papier und übergeben es dem Bürgermeister.“

Für die Linke in der Stadt waren die Worte des US-Repräsentanten ein höchst willkommenes politisches Geschenk. „Alle Macht geht vom Stadtkommandanten aus“, hieß denn auch fortan ein Lieblingsspruch der Ende der siebziger Jahre gegründeten Alternativen Liste (AL). Wo immer die Linke auf der Straße oder im Parlament in den Folgejahren protestierte, war der Verweis auf den liberalen US-Richter ihr unverdächtigstes Argument gegen die Präsenz der drei Westmächte.

Alternative und Alliierte – das Verhältnis glich nicht zuletzt dem eines streitsüchtigen Ehepaares: Jeder wollte den anderen am liebsten los sein. Lange Zeit verfolgten die Alternativen das Modell vom „entmilitarisierten Status“. Aber ihre Vorstellungen waren vage, sie reichten von der nur mehr symbolischen Präsenz der Westallierten bis zu einer Stadt Westberlin als souveränem Gebilde. Abgesehen von den autonomen und linksradikalen Gruppen wurde der mitunter aggressive Tonfall später versöhnlicher. In diesen Tagen, da die Alliierten mit großem Aufwand verabschiedet werden, scheint das Kriegsbeil endgültig begraben. Manche unter ihnen – besonders die eingewanderten Westdeutschen – sind den Alliierten noch heute dankbar, daß sie in Berlin vom Wehrdienst befreit waren.

So beschloß jüngst die Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/ Die Grünen, sich nicht an der Demonstration gegen den Großen Zapfenstreich der Bundeswehr am Brandenburger Tor zu beteiligen. Der heutige Fraktionsvorsitzende der Partei und frühere AL-Politiker Wolfgang Wieland, noch stets jeder militärischen Zeremonie abgeneigt, drückte es so aus: Der Respekt vor den Alliierten, die mit der Sowjetunion den Faschismus niedergeschlagen und den Grundstein für eine demokratische Entwicklung in Deutschland gelegt hätten, verbiete die Teilnahme an der Demonstration.

Allen voran die Amerikaner werden solche Töne mit Genugtuung aufnehmen. Gerade sie erlebten den Stimmungswechsel am nachhaltigsten. War John F. Kennedy noch im Juni 1963 von den Berlinern umjubelt worden und im offenen Wagen durch die Stadt gefahren, änderte sich das Bild nach 1968 schlagartig. Höhepunkt war im Sommer der Besuch Ronald Reagans im Sommer 1987: Während der US-Präsident vor ausgewähltem Publikum an der Mauer vor dem Brandenburger Tor sprach, wurde der Bezirk Kreuzberg von der Berliner Polizei für einen ganzen Tag abgeriegelt. Der Golfkrieg vor vier Jahren leitete einen Wandel ein: Zum erstenmal kritisierten Teile der Linken offen das eingefahrene Freund-Feind- Schema der Vergangenheit.

Das Verhältnis hätte widersprüchlicher nicht sein können. Sicherten die Westmächte einerseits die elementarsten demokratischen Grundrechte, so schränkten sie sie an anderer Stelle ein. Dies war der Punkt, wo die Kritik an den Alliierten konkret wurde: Ob es um den Bau alliierter Wohnungen, um die Ausweisung eines neuen Truppenübungsplatzes ging, um die Post- oder Telefonüberwachung – in fast allen Fragen, die ihre sicherheitspolitischen Belange berührten, behielten die Stadtkommandanten das letzte Wort. Bis zum 3. Oktober 1990 übte die Alliierte Kommandantur die oberste Gewalt in Berlin aus. Durch die sogenannten „Berlin Kommandatura Orders“ (BK/Os), die in der Regel nicht veröffentlicht wurden, erteilten sie keineswegs nur der örtlichen Verwaltung Anordnungen und Befehle – auch der Regierende Bürgermeister und die Präsidenten des Abgeordentenhauses oder des Kammergerichts mußten diesen Anweisungen folgen. Ohne die Alliierten lief nichts. Wenn der Chef des Verfassungsschutzes oder leitende Posten bei der Polizei neu zu besetzen waren, mußte ihre Zustimmung eingeholt werden. „Jeden Morgen erhält der Regierende Bürgermeister das Recht, weiterzumachen“, hieß es damals.

Berlin war nicht nur der Schauplatz des Kalten Krieges, der Ort, an dem die Sowjetunion die westliche Hälfte 1948 mit einer Blockade aushungern wollte. Jenseits aller ideologischen Feindschaft verband die drei Alliierten und die Sowjetunion über die ganze Zeit hinweg das heimliche Einverständnis, ihre faktische Machtausübung in Berlin nicht in Frage zu stellen. Ein sichtbares Zeichen war das Vier-Mächte-Abkommen von 1971, mit dem die Sieger des Zweiten Weltkrieges ihre Verantwortung für die Stadt bekräftigten.

Amerikaner, Briten und Franzosen nahmen ihre Befugnisse mit allem Gewicht wahr. So wurden die Berliner Vertreter für den Bundestag nicht von der Bevölkerung gewählt, sondern vom Abgeordnetenhaus entsandt, die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts durfte lediglich „beachtet“, ein oberstes Verfassungsorgan für Berlin konnte erst nach 1990 eingerichtet werden. Bürgerinitiativen stießen seit den siebziger Jahren immer wieder an die Grenzen dieses rechtlichen und politischen Spielraums. Als 1984 gegen einen britischen Schießplatz in Gatow protestiert wurde, verweigerten sowohl deutsche Verwaltungsgerichte wie auch der High Court of Justice in London die Zuständigkeit. Kurzerhand erklärte sich daraufhin der damalige britische Kommandant zum „Organ des deutschen Staates“. Das Verfahren landete schließlich vor der Menschenrechtskommission in Straßburg.

Auch die Alliierten mußten sich mit der Zeit auf den neuen Geist in der Stadt einstellen. Selbst im kleinbürgerlichen Milieu stießen die durch Manöver verursachten Umweltschäden oder die Lärmbelästigungen durch Militärflugzeuge auf immer weniger Verständnis. 1988 wurde schließlich eine Beschwerdestelle eingerichtet – mehr als Empfehlungen konnte sie jedoch nicht an die Stadtkommandanten weiterreichen. Als im Jahr darauf sich ein rot-grüner Senat anbahnte, waren die Alliierten dank der SPD über jeden Schritt der Verhandlungen im Bilde. Selbst das Regierungsprogramm bedurfte ihrer Zustimmung – ein Passus, der die Auflösung der „Freiwilligen Polizeireserve“ (FPR) vorsah, mußte wieder gestrichen werden. Dafür strichen sie die seit 1951 in Berlin geltende Todesstrafe und ließen deutsche Mitspracherechte bei der Post- und Telefonüberwachung zu.

Die Alliierte Präsenz ist heute in weite Ferne gerückt. Heute streiten sich Bund und Land über die Nutzung ihrer Liegenschaften. Und die Alternativen erzählen wehmütige Anekdoten. Nur manchmal tauchen die alten Geister wieder auf. Etwa wenn Wolfgang Wieland im parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur „Freiwilligen Polizeireserve“, die Mitte der achtziger Jahre durch Rechtsradikale in ihren Reihen in die Schlagzeilen geriet, um alliierte Akten bitte. Spätestens dann weiß jeder, daß sich vieles geändert hat, aber nicht alles: Diese Akten wird er nie bekommen. Severin Weiland