Weg vom Minderheitenmonopoly

Fünf Jahre Haus der Kulturen der Welt, Teil 1: Ein Blick auf das Literaturprogramm  ■ Von Michaela Ott

Fünf Jahre nach seiner Gründung ist das Haus der Kulturen der Welt (HKW) eine der beliebtesten und erfolgreichsten Veranstaltungsorte Berlins geworden. Nun gibt es eine Wachablösung: Gemäß einem von Anfang an beschlossenen Rotationsprinzip werden ab sofort neue ProjektleiterInnen das Programm gestalten. Zeit also, nach Erfahrungen, Kurswechseln und -korrekturen in den einzelnen „Gewerken“ des HKW zu fragen.

Vom „ewigen Feuer“ arabischer Nächte zur Erotik Brasiliens, vom „Hausboot auf dem Nil“ zur „chinesischen Avantgarde“: Auch das Literaturprogramm des Hauses der Kulturen der Welt (HKW) versuchte in den vergangenen fünf Jahren jene berühmten Reisen auf der Stelle, die im besten Fall reicher als die wirklichen Reisen sind. Beate Endriss, nach Abgang von Kurt Scharf und bis zum Dienstantritt des neuen Projektleiters, Dr. Bernd Scherer, zuständig für die Planung des Literaturprogramms, entfaltet einen vielseitigen Prospekt.

Man hat interessante Projekte wie die oben genannten realisieren können. Zu einem Glanzpunkt des Programms wurden überraschenderweise die Abende mit persischer Lyrik, zu denen so viele Besucher kamen wie nie mehr davor und danach. Auch die Lesungen von Urdu-Literatur erfreuten sich heftig bekundeter Publikumszustimmung und die Reihe „China Avantgarde“ war hochbrisant.

Aber es gab auch unangenehme bis peinliche Veranstaltungen, wie beispielsweise 1991 die erste Präsentation chinesischer Literatur: Gemeinsam organisiert mit dem offiziellen chinesischen Schriftstellerverband, hatte sie denkbar unerträgliche Funktionärsliteratur geboten. Derlei wünscht Frau Endriss im HKW nicht mehr zu sehen. Wettgemacht wurde dieser Einbruch allerdings durch die Ausstellung „China Avantgarde“, deren literarisches Begleitprogramm – diesmal am Schriftstellerverband vorbeiorganisiert – seinem Namen gerecht und ein Publikumsmagnet wurde.

Ein Problem stellt in ihren Augen das von ihr so genannte „Minderheitenmonopoly“ dar, der Zwang zur gleichmäßigen Repräsentation von Minderheitenkulturen, was ebenfalls auf Kosten der literarischen Qualität gehen kann. Frau Endriss zieht demgegenüber themengebundene Veranstaltungen vor, zu denen gezielt Autoren oder Literaturen gesucht werden, wie beispielsweise „Generationenwandel“ (1993), die geglückte Begegnung von israelischen und deutschen AutorInnen der Nachkriegsgeneration, oder „Flucht und Identität“ (1992), eine Veranstaltungsreihe, bei der indische mit deutschen AutorInnen zusammentrafen. Diese Veranstaltungen eröffneten tatsächlich die Möglichkeiten von Entdeckungen und neuen Erfahrungen, weil auch jüngere und unbekannte Autoren zu Wort kommen konnten.

Im allgemeinen zielt die Programmgestaltung auf eine ausgewogene Repräsentation von nicht- europäischen und nicht-nordamerikanisch-kanadischen Literaturen (letztere werden für finanzkräftig genug gehalten, ihre Literatur selbst zu exportieren und zu repräsentieren), sie ergibt sich aber natürlich auch aus den Vorlieben und Qualifikationen der jeweiligen Projektleiter oder freien MitarbeiterInnen. So zeigt der erste „Fünfjahresplan“ eine gewisse Lateinamerika-Lastigkeit, die in den nächsten fünf Jahren vermutlich eine gewisse Verschiebung auf den südostasiatischen Kontinent erfahren wird, da der neue Chef aus dem Goethe-Institut in Karatschi (Pakistan) kommt.

Zugleich will man sich verstärkt um Afrika bemühen, das in der bisherigen Programmgestaltung mit der Veranstaltungsreihe „A voyage around“ (1990) Literatur aus Kamerun, Nigeria und Simbabwe, eher unterbelichtet blieb. Aufgrund nachhaltiger Mittelkürzungen ist die weitere Programmgestaltung aber auch von der Möglichkeit der Zusammenarbeit mit anderen Kultureinrichtungen abhängig. Das in dieser Woche beginnende umfassende Brasilienprogramm, welches eine Fortsetzung der Brasilienlesungen dieses Frühjahrs und ein Begleitprogramm zum Buchmessenschwerpunkt darstellt, hätte beispielsweise nicht ohne die finanzielle Unterstützung durch die brasilianische Camera del libro zustandekommen könnnen.

Für 1995 ist aus aktuellem Anlaß ein Kuba-Programm geplant. Außerdem möchte man erstmals den Versuch wagen, die engen Grenzen des Literarischen zu sprengen und Literatur in einem erweiterten Sinn zu präsentieren: Erzählungen von australischen Aborigines, die, traditionell geheimgehalten, nicht als Texte vorliegen, sollen von Sängern oder Rezitatoren vorgetragen und durch Musik, Tanz und Rituale begleitet werden. Beibehalten will man die Sommerprogramme wie die gerade zu Ende gegangene Reihe „Arabische Liebeslyrik“ und die von Rajvinder Singh zusammengestellte Reihe „Schriftsteller im Gespräch“. Und vor allem möchte man nicht auf die Weiterführung der Publikationsreihen verzichten, die das HKW mit verschiedenen Verlagen realisiert hat und die häufig erstmalig Übersetzungen von Texten bislang unbekannter Autoren aus den verschiedensten Kontinenten enthalten.

Bleibt nur zu hoffen, daß die nach wie vor ungesicherte Finanzierung des Hauses durch den Senat diese Pionierarbeit nicht beeinträchtigt oder zum Stillstand bringt: Wir brauchen sie, unsere Auster, damit sie noch länger mit schönen und fremdartigen Perlen schwanger geht.