Plutonium-Basar Deutschland

■ Anette Schaper von der hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung sieht Deutschland als Drehscheibe für Atombombenstoff / Plutonium und hochangereichertes Uran können in den Nahen Osten verschoben werden

taz: Der Handel auf dem Plutonium-Basar Deutschland eskaliert. Was kann man hier mit dem Bombenstoff anfangen?

Anette Schaper: Weiterverkaufen und Geld damit verdienen. Ich glaube nicht, daß man vorhat, hier irgend etwas damit zu machen.

Weiterverkaufen wohin?

Wahrscheinlich in den Nahen Osten.

Den Bombenstoff können sich die Händler doch woanders leichter besorgen als ausgerechnet in Deutschland.

Vor einigen Jahren hat es im Irak ein Kernwaffenprogramm gegeben, das ist mit Hilfe sehr vieler Technologien aus Deutschland bestritten worden. Das liegt wiederum daran, daß Deutschland führend im Maschinenbau ist und der Irak sich die Präzisionsmaschinen, die man brauchte, in Deutschland besorgt hat. Außerdem waren damals die Exportkontrollen sehr schlecht.

Die sollen doch jetzt besser sein. Trotzdem scheint Deutschland die Plutonium-Drehscheibe zu sein.

Ein Grund ist auf jeden Fall die geographische Lage. Deutschland ist das nächste westliche Land zu Osteuropa. Es ist eben einfacher, im Westen Geschäfte zu machen, als im Osten, weil hier die Infrastruktur da ist, bis hin zu funktionierenden Telefonen.

Warum floriert der Plutoniumhandel?

Die russischen Militär-Nuklearkomplexe brechen völlig zusammen, so gibt es auch keine vernünftige Materialkontrolle. Am Anfang waren es unprofessionelle Kleinkriminelle, die versucht haben, alles, was Geigerzähler zum ticken bringt, zu verschieben. Jetzt ist zum erstenmal waffenfähiges Material aufgetaucht.

Gibt es dafür einen Markt in Deutschland?

Zunächst gab es diesen Markt ja nicht. Es wurden Sachen angeboten, die ein echter Atomwaffenbauer nie gekauft hätte. Der Markt bestand eine Zeitlang eher aus V-Männern der Polizei und Journalisten, die auf der Jagd nach der Bombenstory waren. Es hat tatsächlich Fälle gegeben, wo Journalisten nach Moskau gereist sind, um die Händler zu motivieren, die Geschäfte anzuleiern. Sie gerieten jedoch nur an Wichtigtuer.

Gibt es Hinweise, daß V-Männer versucht haben, Geschäfte in Gang zu bringen?

Es könnte sein, daß die V-Männer den Markt anheizen. Doch das wage ich nicht zu beurteilen. Immerhin sind die V-Leute in der Szene drin und hören sich um, um Händler ausfindig zu machen. Man kann es sich wohl wie in der Rauschgiftszene vorstellen: Um an die Hintermänner zu kommen, werden die großen Deals abgewartet.

Sind sogenannte „vagabundierende Atomwissenschaftler“ aus der GUS dabei, die ihr Wissen feilbieten und auch helfen, das Material zu beschaffen?

Die These ist problematisch. Sicher wird Material abgezweigt, und Wissenschaftler können abwandern. Aber man weiß konkret nur von einem Fall, als sich in Nordkorea eine russische Wissenschaftlergruppe anbot, um Nuklearsprengköpfe zu montieren. Ein weiterer Fall ist nicht bekannt, wohl auch, weil man nicht den nötigen Überblick hat. Die Russen wollen das Problem nicht in der Öffentlichkeit diskutiert haben und dementieren, obwohl erwiesen ist, daß das hier gefundene Material aus Rußland stammt.

Wird jetzt auch in anderen Ländern mehr Plutonium gehandelt?

In Deutschland werden möglicherweise auch so viele Fälle aufgedeckt, weil hier die Kontrollen stärker sind als in anderen Ländern, so daß es einem nur so vorkommt, als ob hier das Zentrum wäre. Möglicherweise laufen in anderen Ländern ähnliche Geschäfte ab, sie werden nur nicht aufgedeckt, weil sich keiner drum kümmert. So soll es Warnungen gegeben haben, daß auch in der Schweiz waffenfähiges Plutonium auftauchen könnte. Doch dann hat man nichts gefunden. Angeblich soll man sich aber auch nicht sehr intensiv darum gekümmert haben. Interview: Susanne Krispin