Naturbeton

Wolf Vostell hat sein Museum in Spaniens Extremadura gebaut

Ein wenig spät kommen die Leitfiguren der zeitgenössischen Kunst nach Spanien, dafür allerdings Schlag auf Schlag: Im Madrider Kulturzentrum Centro de Arte Reina Sofia läuft die von Harald Szeemann konzipierte Beuys-Ausstellung, zuvor hatte sich die engagierte Direktorin Maria de Corral mit einer umfassenden Retrospektive an Bruce Naumann herangewagt. Wie in der deutschen Debatte der siebziger Jahre gab es herbe Kritik an Joseph Beuys.

Von Kunst relativ unberührt lag bislang Cáceres in der Extremadura, 300 Kilometer vom Zentrum entfernt. Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatten hier bei seinem Besuch vor einigen Jahren besonders die zahlreichen Störche beeindruckt, die sich trotz der Wirtschaftsinvestitionen der Europäischen Union in dieser Region weiter halten. Jetzt hat sich dort die dritte schillernde Kunstfigur aus Fluxus und Aktionismus ein eigenes Museum eingerichtet: Wolf Vostell. Seit den sechziger Jahren erregt der 1932 geborene Künstler vor allem durch seine Happenings und die Integration von Beton, Fernsehern und Autoteilen in Bilder und Installationen Aufsehen in der Öffentlichkeit.

Nach Decollagen wie dem Bild der Erschießung eines Vietcong war es der Umgang mit den neuen elektronischen Medien, der Vostell zu einem Wortführer der internationalen Fluxus-Bewegung machte. 1971 zog er nach Berlin und begann seine wohl kreativste Phase, die 1987 mit der Plastik „2 Betoncadillacs in Form der nackten Maja“ für den von ihm zum „Skulpturenboulevard“ umgetauften Kurfürstendamm einen Höhepunkt erreichte. Dennoch war es nicht Berlin, sondern eine Gruppe von fünf Städten im Rheingebiet, die ihm 1992 zum 60. Geburtstag Ausstellungen widmeten.

Von Anfang an auf Landschaftssuche

Das mangelnde Engagement der Hauptstadt und die in Deutschland ihm gegenüber herrschende Zurückhaltung mögen den Künstler veranlaßt haben, nun einen Teil seiner Werke in die Extremadura zu geben. Der Verweis auf seine erste Einzelausstellung 1958 in Cáceres, als Folge einer durch Luis Buñuels Film „Las Hurdes, Tierra sin pan“ ausgelösten Reise, macht jedoch deutlich, daß Vostell von Anfang an die Landschaft suchte, und erklärt, warum sich schon früh so viele Bezüge auf Spanien und die spanische Kunstgeschichte in seinem Werk finden.

1974 kam er zum ersten Mal nach Malpartida, einen kleinen Ort bei Cáceres, und war derart begeistert von Los Barruecos, der Landschaft um die verlassenen Gebäude eines nahe gelegenen Schafwollwaschplatzes des 18. Jahrhunderts, das er sie zum Naturkunstwerk erklärte. Seitdem versuchten er und seine aus Malpartida stammende Frau Mercedes Guardado Olivenza, die auch bei einer ganzen Reihe seiner Aktionen mitwirkte, zunächst die BewohnerInnen und später auch die RegionalpolitikerInnen für ein Kunstzentrum an dieser Stelle zu gewinnen. Von deutscher Seite kam Unterstützung von der Botschaft und dem Madrider Instituto Alemán. Das „Vostell-Museum“, das jetzt eröffnet wurde, ist mehr als sein Name vermuten läßt; es könnte beispielhaft nicht nur für den interkulturellen Austausch in Europa, sondern auch für einen gelungenen Dialog zwischen zeitgenössischer Kunst und Natur werden. Vostells wenige Einführungsworte betonten denn auch programmatisch die Zusammenhänge: Intoleranz, so der Künstler, widerspricht der Kunst. Schon bei ihren ersten Aktionen, etwa einem in die Landschaft gesetzten einbetonierten Cadillac, „V.O.A.EX“ (Reise mit Beton in die obere Extremadura, 1976), hatte das Ehepaar Vostell sich um die Einbeziehung und vor allem eine Vermittlung ihrer Absichten an das regionale Publikum bemüht. So bildete sich ein örtlicher Freundeskreis, der Basisarbeit leistete, und eine in Cáceres lehrende Professorin, Maria del Mar Lozano Bartolozzi, versuchte Vostells Ideen dem spanischen Publikum und Politikern nahezubringen.

Vostell seinerseits zeigte sich von Anfang an sensibel für die örtliche Kultur. Schon bald tauchten in seinen Installationen neben Autos und Fernsehern auch Ackergeräte und Holzkarren auf — als Reverenz an Goya. Mit Dali verabredete er 1978 einen Austausch von Konzepten, als dessen Folge vor dem Dali-Museum in Figueras „Fernsehobelisk – Endogene Depression – Hommage an Gala-Dali und Figueras“ entstand und im Vostell-Museum heute „Das Ende / Der letzte Vorhang von Parzival“ (1988) nach einer Idee Dalis aus den zwanziger Jahren zu sehen ist. So trafen sich hier zwei, die mit sehr unterschiedlichem Ziel und Erfolg das große Publikum suchten; Vostell als politischer, Dali hingegen – schon wegen der Verdammung durch Breton – als opportunistischer Künstler.

Das Museum als Teil der Ortsgeschichte

Mit seinem monographischen Museum steht der Deutsche ganz in der Tradition von Stiftungen wie denen von Picasso, Miró, Tàpies und weiteren Künstlern, die in Spanien wegen fehlender staatlicher Unterstützung selbst initiativ wurden. Doch er geht auch über sie hinaus, denn der Erfolg des Projekts ermöglichte nicht nur die Teilrekonstruktion der Schafmanufaktur, sondern wird wahrscheinlich die Errichtung eines ethnographischen Museums an gleicher Stelle nach sich ziehen. Zudem soll die Fluxus-Sammlung des Künstlers eigene Räume erhalten.

Eine der Attraktionen des Rundganges ist eine unscheinbare Tür, die auf eine Terrasse oberhalb des Stausees führt, der das Wasser zum Waschen der Schafwolle lieferte. Weit geht der Blick in die Landschaft, und nur ganz klein, am anderen Ende des Sees, kann man jene „V.O.A.EX“-Arbeit zusammen mit der konzeptuellen Plastik „Der durstige Tod“ (1978) sehen. Solche Aussichten sind nicht Zufall, sondern von Vostell eingeplant worden und an anderen Stellen des Gebäudes zu finden. Im Erdgeschoß des Hauptgebäudes finden sich in zwei aufeinanderfolgenden Sälen mehrere Bilder und Installationen, von denen die meisten ab der zweiten Hälfte der achtziger Jahre entstanden. Nur „Transmigración III“ von 1958/59 mit einem integrierten Fernseher belegt Vostells Pionierrolle bei der künstlerischen Verwendung dieses Kommunikationsmediums. In den zuerst gestalteten Räumen mit der erwähnten Dali-Installation hat Vostell auch seine jüngsten Arbeiten plaziert: „Estella Seelenfreund, memoria de la lista de Schindler“ (1994).

Die TrägerInnen des Projektes haben beispielhafte Vermittlungsarbeit geleistet. Während der Eröffnung wurden überall Faltblätter verteilt, die sich am nächsten Tag auch als Beilage in der gesamten regionalen Presse wiederfanden. Eine Zeitung wird über eine ganze Woche hinweg das Vostell-Museum mit Texten seiner InitiatorInnen vorstellen. Doch die Tatsache, daß bei der Eröffnung, an der neben dem Ministerpräsidenten der Extremadura auch der Berliner Kultursenator und der Direktor der Berlinischen Galerie zugegen waren, niemand inhaltliche Fragen ansprach und die überregionale Presse das Ereignis zunächst weitgehend ignorierte, gibt zu denken. Was wird nach Vostell oder unter einer anderen Regionalregierung geschehen? Eine rein kommerzielle Ausschlachtung als Kulturpark könnte nicht nur katastrophale Folgen für die Landschaft haben, sondern auch den politischen Gehalt der Arbeiten Vostells ihrem vordergründigen Unterhaltungswert opfern.

Zurück in Madrid, hat die Begegnung mit dem Werk von Vostell auch die Sicht auf die Beuys- Retrospektive verändert. Schade, daß bei dieser Ausstellung keiner daran gedacht hat, wie begeistert der Klever von Spanien war und daß es zu seinem Manresa-Projekt (1966) über Ignatius von Loyola inzwischen ein Buch von Friedhelm Mennekes gibt. Ein Schwerpunkt auf dieser Aktion hätte den SpanierInnen die Kunst von Beuys verständlicher gemacht. Im interkulturellen Diskurs reicht es nicht, Kunst zu verordnen und die Prominenz um sich zu versammeln, sie muß auch in den besonderen kulturellen Kontext eingepaßt und vermittelt werden. Vostell und seinen spanischen FreundInnen scheint dies gelungen zu sein. Der „Friedhof der technischen Archetypen“ des 20. Jahrhunderts sollte ein Ort der Reflexion werden, der tatsächlich besser ins ländliche Malpartida als nach Madrid oder Berlin paßt, wo nun Vostells Beitrag zum Skulpturenboulevard künftig auch als Verweis auf die Extremadura zu lesen ist. Michael Scholz-Hänsel/

Birgit Thiemann

Informationen zum Vostell-Museum unter Tel.: 0034/27-27 64 92 oder über die Berliner Galerie Rafael Vostell, 030/885 22 80. Der Museumskatalog kostet 3.500 Pts.