Statt in der Kaserne – auf Tauchstation in Florida

■ Ein 32jähriger Totalverweigerer wurde nach fast drei Jahren im Untergrund wegen Fahnenflucht zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt

Den Fluchtplan hatte Georg H. rasch ausgeheckt: Im fernen Florida, dachte sich der Wahlberliner im Herbst 1991, könne er den Barras endgültig abschütteln. Wegen des Einberufungsbescheides in Panik geraten, beantragte der damals 29jährige Jura-Student einen Reisepaß, löste seine Wohnung auf und verscherbelte auf dem Flohmarkt all sein Hab und Gut. Drei Jahre Exil, rechnete sich der gebürtige Regensburger aus, und die Bundeswehr als auch die Justiz würde ihn als dann 32jährigen nicht länger behelligen.

Falsch gedacht: Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte gestern den Totalverweigerer, der nach fast drei Jahren „im Untergrund“ freiwillig im Gerichtssaal auftauchte, wegen Fahnenflucht zu acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Das Gericht, bedeutete ihm der Vorsitzende der Kammer mit erhobenem Zeigefinger, ließ damit noch einmal Gnade vor Recht ergehen. Mit dem Urteil sei der Angeklagte, der seit Mai 1992 per Haftbefehl gesucht wurde, noch ganz gut bedient, meinte der Robenträger. Denn fünf Jahre seien das Höchstmaß, das für eine solche Straftat verhängt werden könne. „So ist das eben, wenn man sich nicht beugen und seinen eigenen Kopf durchsetzen will.“ Die Richter folgten mit ihrem Urteil dem Antrag des Staatsanwalts, der sich gar nicht wohlfühlte in seiner Haut: „Ich habe es nicht gern gemacht“, gestand der offenbar in Gewissensnöte geratene Ankläger.

Verteidiger Ka Jo Frings, ein profunder Kenner des Wehrstrafrechts, hatte mit einer Bewährungsstrafe gerechnet, war aber dennoch nicht ohne Zweifel: „Ich weiß ja nicht, wie der Richter geschlafen hat.“ Überhaupt urteilten in Berlin fast ausschließlich Richter, „die nicht gedient haben“, über Fahnenflüchtige und Totalverweigerer. Die von ihnen verhängten Strafen seien „kein probates Mittel, um die Verteidigungsfähigkeit des Landes sicherzustellen“, gab er den Richtern zu bedenken.

Die Fahnenflucht von Georg H. ist wohl kein Einzelfall. Er dürfte einer von vermutlich Tausenden Männern sein, die sich in den achtziger Jahren in der Mauerstadt niederließen, um sich den Fängen der Bundeswehr zu entziehen. Doch seit der Vereinigung und dem damit verbundenen Wegfall des Alliierten-Besatzungsstatus ist das vorbei. Mit ganz besonderer Vorliebe, so scheint es, heftet sich die Hardthöhe an die Fersen der „Drückeberger“, die sich seinerzeit – Verrat am Vaterland begehend – an die Spree absetzten. So fühlte sich denn auch H. in der einst bundeswehrfreien Zone rasch „wie eine Ratte im Käfig“ – vor allem nachdem sein damaliger Anwalt die Widerspruchsfrist gegen die Einberufung tatenlos hatte verstreichen lassen.

Die angeblich so starke Truppe hatte den Pazifisten im September 1991 zum Dienst an der Waffe nach Trier beordert. H., der bereits 1982 mit einem Antrag auf Verweigerung gescheitert und deswegen Hals über Kopf nach Berlin geflüchtet war, ging im amerikanischen Seebad Florida erst einmal auf Tauchstation – im wahrsten Sinne des Wortes: Er ließ sich zum Schnorchel-Lehrer ausbilden. Später jobbte er auf den Malediven und der spanischen Pauschalurlauber-Insel Mallorca als Fremdenführer unter Wasser, ehe er Ende 1992 – natürlich inkognito – nach Köln zog. Dort führte er bis zuletzt ein „übertrieben vorsichtiges“ Leben, wie er selbst sagt: „Ich bin immer anständig Auto gefahren und jedem Streit aus dem Weg gegangen.“

Schlecht sei es ihm in der Illegalität nie gegangen, sagt H. rückblickend. „Ich würde es jederzeit wieder tun.“ Denn die Rolle des „Outlaw, der für die Behörden nicht greifbar ist“, habe ihm behagt. Das Versteckspiel habe seinen Charakter gefestigt. Deshalb müsse er der Bundeswehr irgendwie auch ein wenig dankbar sein: „Sie gab mir immerhin den Arschtritt, durch den ich einmal richtig ins Ungewisse springen mußte.“ Frank Kempe