Wer tut das Selbstverständliche?

■ Die Bundesregierung rührt keinen Finger für Taslima Nasrin – Grund genug, eine Geste mit Nachdruck einzufordern

Taslima Nasrin soll umgebracht werden. Ihr Verbrechen? Sie hat sich erlaubt, mit der gebotenen Deutlichkeit von der Diskriminierung der Frauen im Islam zu sprechen. Radikale Mullahs haben daraufhin gegen sie einen Mordaufruf ausgesprochen. Jedem Moslem, der Frau Nasrin umbringt, winkt jetzt die ewige Seligkeit.

Das Selbstverständliche geschieht nicht. Die Regierung in Dhaka stellt sich nicht schützend vor die Bürgerin ihres Landes. Als einzige Reaktion auf die Anfrage einiger europäischer Staaten erklärte Dhaka den Aufruf für ungesetzlich. Europa fragte nicht nach. Der Diplomat hat seine Note abgegeben und die Antwort entgegengenommen. Es herrscht wieder Ruhe. Nichts geschieht. Und Bonn? Eine eigene Initiative wird dort nicht erwogen. Die Deutsche Regierung war mit der Antwort aus Bangladesch zufrieden.

Wir sind es nicht. Der Austausch mehr oder weniger freundlich verpackter diplomatischer Plänkeleien ist nicht genug. Solange Frau Nasrin nicht in Sicherheit ist, muß etwas getan werden. Wir fragen uns: Warum stellt sich kein Bonner Minister hin und formuliert folgende Sätze: „Die Bundesregierung ist erschrocken über das, was mit Frau Nasrin geschieht. Die Bundesregierung würde sich freuen, Frau Nasrin helfen zu können. Wenn Taslima Nasrin möchte, kann sie in der Bundesrepublik Deutschland leben.“

Wir fragten auch die Bonner Regierung, was sie hindere, diese einfachen, aber sehr hilfreichen Worte zu finden. Wir erfuhren es nicht. Wir brachten Schlimmeres in Erfahrung: eine solche Geste habe es in der Geschichte der Bundesrepublik lange nicht gegeben.

Willy Brandt hatte dem russischen Dissidenten Alexander Solschenizyn Asyl in Deutschland angeboten. Nun ist die Generation derer, die die Gnade der späten Geburt erfuhren, dran. Sie sollte endlich zu einer Geste finden, die der bedrohten Autorin Taslima Nasrin zeigt, daß sie nicht allein ist, daß es Länder gibt, die bereit sind, das Selbstverständliche zu tun: ein bedrohtes Leben zu schützen. Arno Widmann