Crack in Paris – der Trick mit den „Steinchen“

■ Laut einer Studie konsumieren weit mehr Leute Crack als bisher angenommen

Caillou, „Steinchen“ – so heißt die französische Ausgabe von Crack. Mit der Umbenennung ist es den Dealern gelungen, das Mißtrauen ihrer neuen Kunden zu verringern. „Es gibt ein hartnäckiges Gerücht, wonach allein die Amerikaner Crack konsumieren, während bei uns ,Steinchen‘ verkauft werden, deren Substanz im Vergleich angeblich eher soft ist“, berichtet der Arzt Rodolphe Ingold vom „Institut für epidemiologische Forschung der Pharmakodependenz“ (I.R.E.P.), der im Frühjahr eine Studie über die Verbreitung der neuen Droge in Paris veröffentlicht hat. Die Dealer beteuern, daß ihr Stoff nicht wie herkömmliches Crack aus „pasta“ hergestellt ist – einem mit chemischen Zusatzstoffen verunreinigtem Kokainbrei also –, sondern aus sauberem Stoff. Dieser Trick hat das Eindringen der Droge nach Frankreich erleichtert. „Tatsächlich verbirgt sich hinter den verschiedenen Namen jedoch ein und dieselbe Droge, die innerhalb eines Monats abhängig macht“, betont Ingold.

Caillou, nach seiner Herkunft auch „antillanisches Crack“ genannt, wird in Frankreich seit fünf Jahren gehandelt. 1989 stieß die Polizei erstmals in der Pariser Metro auf diese Droge. Heute wird Crack vor allem an einigen Stationen der Metro-Linie 9 gehandelt sowie unter den postmodernen Arkaden am Bassin de la Villette, einem Ausflugsort im Nordosten der Stadt. Waren der Polizei 1991 54 Crack-Abhängige bekannt, so wurden 1993 bereits 226 Abhängige registriert. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher: Rodolphe Ingold schätzt, daß 1993 in Paris weit mehr als 1.000 Menschen Crack geraucht haben. Während anfangs vor allem Antillaner und Afrikaner mit dem neuen Stoff in Berührung kamen, verbreitet sich Crack inzwischen in allen sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Auch viele Fixer haben Crack zu ihrer wichtigsten Droge gemacht.

Verglichen mit Kokain, scheint Crack verlockend billig: Während ein Gramm der Edeldroge Koks 800 Franc (250 Mark) kostet, ist ein Caillou schon für 20 Mark zu haben. Der Stoff wird geraucht und gelangt über die Lungen und den Blutkreislauf in weniger als zehn Sekunden ins Gehirn. Doch fast so schnell, wie die Euphorie erreicht wird, ist sie auch schon wieder verflogen. Depressionen und Angstgefühle treten an ihre Stelle. Da die Stimulierung nur wenige Minuten anhält, verschlingt Crack mit zunehmender Abhängigkeit riesige Summen. Ein Dealer verdient mit Crack leicht 4.000 Mark am Tag, denn „ein einziger Konsument kann in einer Nacht sehr leicht Crack für 1.000 bis 1.500 Mark konsumieren“, heißt es in der Studie.

Um den Abstieg besser zu verkraften, greifen die Crack-Abhängigen oft zu Heroin oder Tranquilizern. Der enorme Geldbedarf beschleunigt die Marginalisierung. Die Frauen sind zur Prostitution gezwungen, die Männer zu Diebstahl und Erpressung. Rodolphe Ingold hält es für unvermeidlich, daß Crack in Kürze auch Vorstadtsiedlungen und Provinzstädte erreichen wird. Für eine abschreckende Informationskampagne sei es längst zu spät: „Die Benutzer müssen selbst erkennen, daß Crack unendlich viel zerstörerischer ist als Heroin oder andere Drogen.“ Bettina Kaps, Paris