Nachschlag

■ Spuk um Marx und Derrida im Institut Français

Marx ist schon so oft für tot erklärt worden, daß man sich kaum wundert, wenn nun wieder einmal jemand behauptet, das sei gar nicht so. Es ist allerdings Jacques Derrida, der sich diesmal in der Rolle des Geistheilers versucht.

Am Donnerstag abend war der französische Philiosoph ins Institut Français gekommen, um über sein neuestes Buch „Gespenster von Marx“ mit Heiner Müller zu diskutieren. Diese Kombination versprach Brisanz. Der Andrang vor dem Institut Unter den Linden war überwältigend. Obwohl die Veranstaltung seit Wochen ausverkauft war, versuchten viele, sich noch hineinzuschmuggeln, meist vergebens. Im Vorraum war ein Videogerät installiert, um den Draußengebliebenen wenigstens die Begegnung mit den Simulakren der großen Gespenster zu ermöglichen. Doch das erste Debakel kam schnell: Heiner Müller hatte wegen Krankheit absagen müssen. So saß der sichtlich ein wenig enttäuschte Derrida mit Emmanuelle Terry und Christoph Wulf alleine auf dem Podium.

Jacques Derrida hat sich erst seit kurzem – seit seinem Buch über Walter Benjamin und den Begriff der Gerechtigkeit – auf das Feld der Sozialphilosophie begeben. Schon daher war man gespannt, was er nun mit Marx anfangen wollte. „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.“ Diesen Satz aus dem Kommunistischen Manifest las Derrida auf eine Weise, die sich seine Autoren wohl nicht hätten träumen lassen.

Er nahm ihn, wie man es aus den Büchern dieses Materialisten des Zeichens kennt, wörtlich. Marx ist nicht tot, so Derrida, er lebt auch nicht, er ist im Zwischenreich, er ist ein Gespenst, nein, viele Gespenster. Es gehe nun darum, diese Marxschen Erscheinungen wahrzunehmen, mit ihnen zu kommunizieren, sie aufzunehmen in unsere Gemeinschaft. Die Kommunikation mit den Gespenstern, und es gebe ihrer noch viele, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Heidegger, so Derrida, sei „messianisch“.

Denn wie der Messias sind sie unter uns, und wir leben in der Erwartung ihrer Wiederkehr. Messianische Kommunikation mit Gespenstern ist für Derrida die einzige Möglichkeit, in unserem Zeitalter der Grausamkeiten die Gerechtigkeit zu denken. Derrida macht keinen Unterschied zwischen den Sphären der Gerechtigkeit; das Politische und das Private werden von ihm in einer Bewegung zusammengedacht. Auch im Zugehen auf einen konkreten anderen muß der Schleier seiner Gespenster durchdrungen werden. Auch dies ein Akt „messianischer Kommunikation“? Jedenfalls legte sich bald schon ein gespenstischer Schleier über Marx, dessen Messianismus doch eigentlich eine nicht ganz so komplizierte Sache war.

Wer gehofft hatte, daß über Hamlet und Hamletmaschine, Sein oder Nicht-Sein von Gespenstern gesprochen werden würde, sah sich enttäuscht. Der wiederkehrende Marx werde nicht wiederzuerkennen sein, so Derrida. Am Ende der Gespensterstunde kam nicht viel mehr zutage als die ehrenvolle Absicht Jacques Derridas, das Gefühl der Rechtfertigung zu durchkreuzen, das sich in den demokratisch verfaßten Marktgesellschaften nach dem Ende des Sozialismus breitmacht. Aber ob man dabei auf Gespenster vertrauen sollte? Anke Haarmann/jl