Affenliebe zu den Amigos

In Bayern kann die CSU machen, was sie will – sie läuft auf der Straße der Gewinner / Nicht nur im Festzelt kleben die Wählerinnen und Wähler an den Mündern der Parteibonzen  ■ Aus Marktgraitz Bernd Siegler

Vergnügte Stimmung im verschlafenen Oberfranken. Rappelvoll ist das Festzelt am Mittwoch abend in Marktgraitz. Die Blaskapelle spielt, die Männer von der Freiwilligen Feuerwehr stehen hinter der Theke und zapfen Maß um Maß. CSU-Aufkleber gehen weg wie warme Semmeln. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und seine „liebe Gattin Karin“ kommen zwar vierzig Minuten zu spät, doch was macht das schon. Einen Sieg gilt es zu feiern. Einen dreifachen Tusch auf den Wahlerfolg der CSU bei den Europawahlen! „Trink mer noch mal“, ermuntert Stoiber, bevor er den „sehr verehrten Damen und Herren“ darlegt, welch großen „persönlichen Schub“ ihm das Wahlergebnis gegeben habe.

Der bayerische Ministerpräsident ist nach Oberfranken gekommen, um „Glaubwürdigkeit zu gewinnen“. Nötig hat er das hier, im Landkreis Lichtenfels, nicht. Mit 54,1 Prozent holte seine Partei vergangenen Sonntag eine satte Mehrheit. Und das, wo der Marktflecken doch mitten im Amigogebiet liegt. Nur acht Kilometer vom 7.000-Einwohner-Städtchen Burgkunstadt entfernt. Das kennt inzwischen jeder. Hier ist der propere Baur-Versand zu Hause – ansehnliche 1,5 Milliarden Umsatz bei 2.000 Arbeitsplätzen. Und hier begann sie auch, die Amigo-Story.

Zunächst war da das Testament. Jahrelang hatten der CSU-Übervater Franz Josef Strauß und Exministerpräsident Max Streibl als Testamentsvollstrecker der Unternehmereheleute Friedrich und Kathi Baur bis zu 300.000 Mark im Jahr kassiert. Damit haben sie ihr Ministerpräsidentensalär von 390.000 Mark im Jahr fast verdoppeln können. Getan haben sie dafür freilich so gut wie nichts, nur ihren Namen hergegeben.

Wie lange haben die Oberfranken sich das Maul darüber zerrissen! Im Wirtshaus war es Gesprächsthema, am Küchentisch und vor allem am Arbeitsplatz. Viele der Baur-Beschäftigten schimpften über die „Raffkes“ aus München. Jochen Meyer, Vorsitzender der Baur-Geschäftsführung, machte sich damals ziemliche Sorgen um den Ruf der Firma. „Der Skandal wird allmählich zur Belastung für uns, weil die Kritik an den Politikern auch uns als Unternehmen trifft.“ Niemand hätte sich also gewundert, wäre die CSU am vergangenen Sonntag bei der Europawahl baden gegangen. Doch sie machte auch in Burgkunstadt Gewinne. Mit 52,51 Prozent legten die Christlich-Sozialen noch einmal über drei Prozent gegenüber der letzten Europawahl zu. Die SPD, die mit dem Plakat „Rote Karte für Amigos“ in den Wahlkampf gezogen war, verlor ein Prozent und landete abgeschlagen bei 30 Prozent. Die einst auch in Burgkunstadt starken „Republikaner“ schwanden auf landesweit unterdurchschnittliche 4,25 Prozent.

Erklären kann sich den Erfolg im Festzelt niemand so recht. Auch Josef Gückel, Chef der örtlichen CSU, nicht. Ausschlaggebend war wohl, daß „die CSU in den letzten vierzig Jahren in Bayern eine hervorragende Politik gemacht“ habe, glaubt der 46jährige Zahnarzt. Aber die Testamentsaffäre habe die Bürger schon mehr aufgerüttelt, als es jetzt nach der Wahl den Anschein habe. Die ständig neu hinzugekommenen Details seien den Leuten zuletzt aber „auf den Geist gegangen“.

Die kinderlosen Eheleute Kathi und Friedrich Baur hatten bereits 1953 ihr gesamtes Vermögen samt Unternehmen der neugegründeten „Friedrich-Baur-Stiftung“ übereignet. Zweck der Stiftung ist die Erforschung der Kinderlähmung, an der Kathi Baur ihr ganzes Leben gelitten hatte. Vier Tausendstel vom Jahresumsatz sollte jeder Testamentsvollstrecker bekommen. 1984 starb Kathi Baur. Später kam heraus, daß sie angesichts der explodierenden Umsätze des Baur-Versands die Tantiemen für die Vollstrecker auf 60.000 Mark begrenzen wollte. Sie hatte ihr Testament dahin gehend geändert. Doch die Testamentsvollstrecker erachteten die Änderung als rechtsunwirksam. Ein Teil der auf Strauß entfallenen, aber noch nicht abgerufenen Tantiemen wurde gar noch nach seinem Tod den Strauß-Erben überwiesen. Forderungen nach Rückzahlung widerstanden die Strauß-Erben konsequent. „Wir haben keinen sozialen Nachholbedarf“, betonte Strauß-Tochter Hohlmeier, und Strauß-Sohn Max kündigte an, daß sich jeder eine „blutige Nase“ holen werde, der das Geld zurückfordere.

Solche Äußerungen brachte selbst in die Reihen der CSU Unruhe, obwohl Stoiber, um dem Amigo-Sumpf zu entgehen, großzügig auf den Job des Testamentsvollstreckers verzichtet hatte. Der schwäbische CSU-Landtagsabgeordnete Karl Kling nannte die Vorgänge eine „Steilvorlage für die Opposition“. Auch die Burgkunstädter CSU ging auf Distanz. Stadtrat Rudi Fetzer nannte die „Art des Raffens“ eine „Sauerei“. Sein Kollege Hans Kraus warf Stoiber gar „Verrat an den Baur- Leuten“ vor. Er hätte es gern gesehen, wenn Stoiber die Vollstreckertätigkeit ehrenamtlich versehen und nicht gleich ganz ausgeschlagen hätte.

Seit 37 Jahren arbeitet Kraus im Baur-Versand, in der Personalabteilung und im Betriebsrat. Er kennt die Stimmung seiner Kollegen. Nicht nur die Testamentsaffäre verpeste das Betriebsklima. Die Geschäftsführung wollte auch 150 Stellen abbauen, via vorgezogenen Ruhestand. Mit der übertariflichen Bezahlung der Baur-Beschäftigten ist schon seit 1991 Schluß. Während Betriebsratsvorsitzender Höhlein den Eindruck hat, daß die CSU machen könne, was sie wolle, sie werde „immer wiedergewählt“, ist sich Kraus nicht so sicher. „Die CSU muß zeigen, daß sie Konsequenzen ziehen kann“, betont er. Das habe sie bei Tandler, Gauweiler und Streibl getan. Streibl und den Strauß-Erben gibt er den „guten Rat“, die erhaltenen Gelder entweder in die Unterstützungskasse der Baur-Beschäftigten einzuzahlen oder für Projekte im Landkreis zu verwenden. „Das Geld haben wir hier erarbeitet, es soll auch hier bleiben.“

Krauses Fraktionsvorsitzender ist der Rektor der örtlichen Hauptschule. Für Karl Heinz Goldfuß ist „doch nicht die ganze Politik der CSU schlecht, nur weil ein paar Herren in München abgehoben haben“. Zudem sei es „selbstverständlich“, daß die Stimmen ehemaliger Rep-Wähler wieder der CSU zufielen, denn die sei nun einmal „im rechten Spektrum“ zu verorten.

Rektor Goldfuß macht sich Sorgen, daß die Affäre den Baur-Versand nicht unbeschadet läßt. „Wenn Baur hustet, hat der ganze Landkreis Lungenentzündung.“ Dies zu verhindern, darin sieht Georg Dora, Bürgermeister von Burgkunstadt, seine Aufgabe.

Weithin sichtbar thront das Fachwerk-Rathaus mit seinem steilen Giebeldach und seinem Türmchen über Burgkunstadt. Wenn er nicht im Bierzelt feiert, residiert Dora oben im zweiten Stock im holzgetäfelten Amtszimmer. Für den 68jährigen CSU- Mann ist die Testamentsaffäre kein Thema. Er mißt den durch die Vereinigung ausgelösten Problemen, der rapiden Zunahme des Durchgangsverkehrs sowie dem Wegzug von Firmen in die neuen Länder, mehr Bedeutung zu. Hier betreibe die CSU in der Stadt „eben eine gute Politik“, das wüßten die Wähler. Die beiden neu ausgewiesenen Gewerbegebiete seien fast belegt. Nach der einstigen „totalen“ Vollbeschäftigung liege man mit 6,6 Prozent Arbeitslosen immer noch unter Landesdurchschnitt. Dora lobt vor allem die parteiübergreifende Zusammenarbeit im Stadtrat. Das will auch SPD-Ortsvereinsvorsitzender Rudi Malzahn so beibehalten. Der 64jährige Rentner ist zwar traurig über das katastrophale Wahlergebnis seiner Partei. Er hält es aber für richtig, keinen Wahlkampf mit den CSU-Affären betrieben zu haben. Mit der Testamentsaffäre schon gar nicht. „Wir möchten da nicht dran rühren, denn alle hier sind abhängig vom Versandhaus Baur.“ Malzahns Ortsverein zählt 100 Mitglieder, immerhin neun mehr als die örtliche CSU. Doch die CSU heimste doppelt so viele Wählerstimmen wie die SPD ein.

Auch Jürgen Zürbig, Diplomchemiker bei Siemens, versteht es „nicht als Aufgabe der Partei, die Finger in die Wunden der anderen Partei zu legen“. Man müsse jetzt die Politik der SPD in den Vordergrund stellen, fordert der SPD- Fraktionschef im Burgkunstädter Rathaus. Zürbig hat im letzten Herbst bei den Landratswahlen den CSU-Platzhirsch Reinhard Leutner in die Stichwahl gezwungen und erstaunliche 44 Prozent geholt. Der SPD-Mann hatte zwar geglaubt, daß die Skandale zu Lasten der CSU ausgingen, aber es werde eben „doch bei vielen als clever angesehen, einen solchen Job mit dieser Vergütung wie bei der Testamentsvollstreckung zu ergattern“. Er setzt seine Hoffnungen jetzt verstärkt auf die Landtagswahl.

Nach vorne schauen, das will auch CSU-Stadtrat Kraus. Deswegen ist er ins Bierzelt zum Ministerpräsidenten Stoiber gekommen. „Hören S' doch auf, die Affären interessieren doch keinen mehr.“ Stoiber erhält den meisten Beifall für polemische Attacken auf die SPD („Helmut Schmidt soll doch die Schnauze halten“) und Aussagen zur Amigo-Affäre. „Ich werde es nicht zulassen, daß man glaubt, den Wahlkampf damit bestehen zu können, daß man Vorwürfe auf einen Toten ablädt“, nimmt er Franz Josef Strauß, dessen engster Mitarbeiter er war, posthum in Schutz. „Diejenigen, die glauben, sie könnten mit Amigo-Vorwürfen die Macht übernehmen, die kennen Bayern nicht.“ Der tosende Beifall gibt ihm recht. „Halten Sie uns weiterhin die Stange, dann schaffen wir es“, beendet er seinen Auftritt. Da reißt es auch den Betriebsrat Hans Kraus vom Sitz. Selten zuvor habe er einen Edmund Stoiber erlebt, der „aus sich herausgeht“. „Der war sehr, sehr gut drauf“, lobt er den Ministerpräsidenten und geht nach der Bayernhymne und dem Deutschlandlied sichtlich zufrieden nach Hause.