Ministerium brachte Richter auf Trab

■ Schweriner Justizministerium mischte sich per Telefonanruf in Verfahren gegen sechs gewalttätige Jugendliche ein

Schwerin (taz) – Des Lobes voll für die Justiz waren Schweriner Regierungspolitiker nach einem Schnellprozeß gegen sechs junge Gewalttäter vor dem Ludwigsluster Amtsgericht. Den Richtervertretungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern mißfallen allerdings die Umstände des Verfahrens: In einem Brief ans Schweriner Justizministerium kritisierten sie gestern Justiz-Staatssekretär Klaus Letzgus, denn der hatte vor dem Prozeß zum Telefon gegriffen und interveniert. Der angerufene Richter verhandelte denn auch prompt nur vier Tage nach der Tat – am Pfingstsonntag.

„Sehr ungewöhnlich und weder im konkreten Fall noch generell der Sache angemessen“, sei ein solcher Anruf, formulierten die Richter vorsichtig. Sie hätten zwar nicht feststellen können, daß es tatsächlich unzulässigen Druck und eine Einflußnahme gab. Doch im Interesse des Vertrauens in die Unabhängigkeit der Gerichte und des Ansehens der Justiz müsse „jede Maßnahme unterbleiben, die auch nur den Anschein erwecken könnte, daß von seiten der Verwaltung in die richterliche Unabhängigkeit eingegriffen werden soll“.

In dem Fall, der so schnell abgeurteilt wurde, hatten sechs 14- bis 19jährige Jungmänner einen 15jährigen im mecklenburgischen Grabow brutal mißhandelt. Sie traten und schlugen ihn, versengten seine Haare, malten ihm ein Hakenkreuz auf die Schulter und traktierten ihn mit einem stumpfen Messer. Die Täter waren geständig. Generalstaatsanwalt Alexander Prechtel verlangte von der Schweriner Staatsanwaltschaft die vorrangige Bearbeitung. Auch Staatssekretär Letzgus drängte offenbar telefonisch zur Eile. Die Staatsanwälte beantragten ein vereinfachtes Jugendverfahren für fünf der Täter, ein beschleunigtes Verfahren für den 19jährigen. Amtsgerichtsdirektor Werner Gins übernahm im Wochenenddienst den Fall und verurteilte die Täter wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu vier Wochen Jugendarrest, den ältesten zu sieben Monaten Haft ohne Bewährung.

Das kennen wir von früher, kommentieren Ost-Juristen jetzt das Verfahren. Sie haben inzwischen Verfahrensfehler ausgemacht: keine Pflichtverteidiger etwa, keine formgerechte Ladung für die Sonntagssitzung. Außerdem sei das vereinfachte Verfahren für Bagatellfälle vorgesehen, nicht für die Schwere der Tat.

Kritische Richterkollegen sprechen von „vorauseilendem Gehorsam“. Richter Gins will keinen politischen Druck verspürt haben, er sei nur seiner Pflicht nachgekommen. Letzgus bestreitet, den Richter beeinflußt zu haben. Er habe sich nur nach dem Stand des Verfahrens erkundigt und die „Erwartung“ ausgesprochen, daß „möglichst zügig“ verhandelt werde. Nicht die Höhe der Strafe sei für ihn entscheidend, so Letzgus, sondern ein schnelles Urteil. Bedenken gegen Letzgus' Vorgehen wischt der Sprecher des Justizministers vom Tisch. „In den neuen Bundesländern ist vieles ungewöhnlich“, meint Michael Bauer. Auf hierarchische Strukturen werde nicht so geachtet. Minister und Staatssekretär würden oftmals vieles selber machen. Gaby Woitzik