■ Die populäre Konzertführerin
: Rebellen gegen König Fußball

Mensch kann die Fußball-WM lieben oder hassen, aber eines geht nicht: ignorieren. Auf gewagten Konfrontationskurs zum König Fußball sind Hölderlin-Expreß gegangen. Freistil-Folk, quer durch alle Stile und Epochen, einmal vom Balkan bis nach Irland und zurück, verspricht die junge Kapelle aus Tübingen am Freitag im Kito zu Vegesack. Die Herkunftsstadt riecht nach Studentenband der alten Schule, und auch der Konzertbeginn richtet sich rebellisch gegen das Establishment: 20 Uhr, eine Stunde vor dem Eröffnungsspiel der deutschen Kraftmeier gegen Bolivien (sowie am Samstag um 19 Uhr im Cafe Sand).

Kompromißbereiter agieren dagegen die Organisatoren der Roots-Night in der Kesselhalle des Schlachthofs. Gewiß, Aisha Kandisha's Jarring Effects stehen am Freitag bereits um 20.30 Uhr auf der Matte, um mit einer scharf gewürzten Mischung aus HipHop und Reggae auf der einen, und arabischer Musik auf der anderen Seite das Volk zum Steppen und zum Schwitzen zu bringen. Nach dem Konzert winkt eine Aufzeichnung des Spiels auf der Großbildleinwand – bei gutem Wetter gar im Sommergarten.

Grotus, innovative Industrial-Hardcore-Experimentatoren, verlassen sich am Samstag selbstbewußt auf die eigene Zugkraft, auf den etwas anderen, weil direkt in die Eingeweide zielenden Tanzbeat. Mit dem ist die Gruppe immerhin eines der Zugpferde von Jello Biafras „Alternative Tentacles“-Label geworden. Ein Blick auf den Spielplan zeigt: Das Attraktivitätsduell ab 21 Uhr im Wehrschloß könnten die Kalifornier gewinnen, obwohl der Kräftevergleich der trinkfreudigen Iren mit den Dauermaurern aus Italien auch nicht ohne ist.

Ungewöhnliche Anfangszeiten sind zwar eine listige Möglichkeit, dem Diktat des Königs Fußball zu entgehen. Um 15 Uhr, die übliche Sommer-Rock-Zeit, stehen etwas Sandcastle 5 auf der Bühne bei einem der legendären Open-Air-Konzerte in der Schlachthofarena. Die Bremer Norder haben es mit ihrer eingängigen Mischung aus Zuckermelodien und Brettergitarren allerdings nicht nötig, sich zu verstecken; vor allem die Stimme von Andre Berger dürfte im Vergleich mit diversen Fußballmatchen ein Ass im Ärmel sein. Vor halb sieben tut sich jedoch nichts auf der Leinwand.

Wer allerdings am Montag die wöchentliche Jazz-Session der MusikerInnen-Initiative Bremen dem Knüller Brasilien gegen Rußland vorzieht, ist vermutlich für König Fußball ohnehin verloren. Das sind dann die Führungskader, wenn wir mit der Revolution gegen den König mal wirklich ernst machen. Dies sei hiermit gelobt. Lars Reppesgaard