PDS: Wie die Westbasis kaltstellen?

Ohne ein achtbares Ergebnis im Westen kann sich die PDS als linke Oppositionspartei nicht behaupten, doch die Zerfallsreste der K-Gruppen-Herrlichkeit blockieren „Gysis bunte Truppe“  ■ Von Christoph Seils

Berlin (taz) – „Ich bin stinksauer, denn alles, was wir mühsam aufgebaut haben, ist ernsthaft in Gefahr.“ Der Hilferuf kam per Fax vom Niederrhein, und das bedrohte Pflänzchen heißt PDS/ Linke Liste, Kreisverband Wesel. Eine Gruppe politischer Newcomer – „Wir sind HumanistInnen, ChristInnen, PazifistInnen, Schwule/Lesben“ – bekennen sich dort seit kurzem zu den demokratischen Sozialisten. Doch die lokalen Platzhirsche der ehemaligen Bruderpartei DKP wollen die neue Konkurrenz nicht zur Kenntnis nehmen. Sie druckten für den Europawahlkampf der PDS eigene Plakate: „Die Partei der Antifaschisten, Sozialisten und Kommunisten“.

Die PDS will nicht nur ostdeutsche Interessenvertretung sein, sondern auch eine moderne Oppositionspartei links von den Sozialdemokraten. Um diesen Anspruch, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben, hochhalten zu können, braucht die PDS bei den Europawahlen einen Achtungserfolg im Westen. Seit über einem Jahr tingelt Gregor Gysi als Aufbauhelfer durch den Westen. Zwar füllt der heimliche Parteivorsitzende die Hallen, doch von Aufbruchstimmung keine Spur. Die Gysi-Fans im Westen klagen nicht über steigende Mieten, über das Rentenüberleitungsgesetz, über Abwicklung oder Rückübertragungsansprüche. Im Westen interessieren die globalen Probleme, soziale Gerechtigkeit und Wege zum Weltfrieden. Gysi meistert jedes Publikum mit Bravour, aber kaum ist der Stargast aus dem Osten abgereist, dann packt die westdeutsche Basis ihre uralten Debatten aus. Die Zerfallsprodukte der einstigen K-Gruppen- Herrlichkeit diskutieren wie in den siebziger Jahren über die Herrschaft des Kapitals und die bürgerliche Demokratie. Als „Arbeiterverräter“ oder „Sozialdemokrat“ muß sich Gregor Gysi beschimpfen lassen, seit er einen „neuen Gesellschaftsvertrag“ angeregt hat. Nachdem Gregor Gysi auf dem letzten Parteitag den 72jährigen Bismarckenkel Heinrich Graf von Einsiedel als neue Errungenschaft für seine bunte Truppe präsentiert hatte, schrien die Gralshüter der reinen Lehre: „Verrat!“ Er sei nicht in eine „demokratisch-sozialistische Partei eingetreten, um jetzt aus einer national-sozialistischen Partei wieder auszutreten“, schrieb ein Westgenosse an die Parteizentrale, und eine Versammlung des Landesverbandes Hamburg denunzierte Einsiedel als „Rassisten“ und „Nationalisten“.

„Ich habe es gründlich satt“, platzte Gysi der Kragen. „Ich werde im Westen instrumentalisiert. Ich soll dort die Säle füllen, und anschließend machen die Landesverbände eine Politik, für die ich nicht stehe.“ Als Konsequenz kündigte Gysi an, er werde keine Kandidaten mehr für die offenen Liste werben. Der Graf jedoch, der während des Krieges zur roten Armee übergelaufen war und sich dem Nationalkomitee Freies Deutschland angeschlossen hatte, fühlt sich mißverstanden. Nur ironisch habe er sich als „Deutsch-Nationalen“ bezeichnet.

Lediglich 100.000 Westdeutsche (0,3 Prozent) wählten 1990 die PDS. Um bei den Europawahlen die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen muß die Partei – je nach Zuspruch im Osten – ihren Wähleranteil im Westen versechs- bis verzehnfachen. Der Umweg über drei Direktmandate ist bei den Europawahlen versperrt. Zwar hat die Zahl der Mitglieder im Westen in den letzten zwölf Monaten um fast 30 Prozent zugenommen, doch mehr als 1.200 Genossen (genauso viele wie die Kreisorganisation Anklam-Land) kommen nicht zusammen. Wie ein Klotz hängt der PDS auch die DKP am Bein. Überall wo die PDS ankommt, ist die Vorhut der westdeutschen Arbeiterklasse schon da und beschwört die „Einheit von Sozialisten und Kommunisten“. Bei den Ostgenossen kommt der Schmus an und verhindert, daß sich die PDS eindeutig von der DKP und ihrer ständigen Vertretung in der PDS, der Kommunistischen Plattform, abgrenzt. Zwar mehren sich im Vorstand Stimmen, die „einen Schnitt noch vor dem 16. Oktober für unausweichlich“ halten, doch dies ist derzeit nicht durchsetzbar. Zur Kandidatenkür in Brandenburg eilte eigens Bundesvorstandsmitglied Michael Schumann, um zu verhindern, daß ein DKP-Mann auf der offenen Liste der PDS kandidiert. DKP-Sprecher Heinz Stehr verzichtete schließlich freiwillig, weil er nur auf den aussichtslosen Platz 14 gewählt wurde.

Das es im Westen auch anders zugeht, zeigte am letzten Wochenende die PDS in Darmstadt. Nachdem der Oberbürgermeister das geplante „Canabis-Weekend“ verboten hatte, meldete die Darmstädter PDS kurzerhand eine Demonstration gegen Rechtsextremismus an. Hinter dem Transparent „Flüchtlinge schützen, Rassismus bekämpfen“ zogen schließlich rund 1.000 Jugendliche – viele genüßlich ihren Joint rauchend – durch die Darmstädter Innenstadt. Doch nun grübelt Gregor Gysi, wie er dies seinen Rentnern im Osten beibringen soll. Dort gilt der Joint immer noch als Ausgeburt kapitalistischer Dekadenz. Der Spagat ist nicht mehr lange aushalten, wenn die PDS im Westen nicht auf die Füße kommt. Schließlich wird sie im Osten trotz ihrer Beschlüsse zu offenen Grenzen, zur Abschaffung des 218 und zur Freigabe weicher Drogen gewählt – und im Westen genau deshalb. Um die eigene Parteibasis im Westen kaltzustellen, ruft die PDS jetzt dazu auf, sie mit „Wählerinitiativen“ zu unterstützen. In über 30 Städten haben sich Sympathisanten der PDS in Konkurrenz zu den Einheitsfrontlern zusammengeschlossen, um für Gysi & Co. zu powern. Im Euro- Wahlkampf präsentiert sich die PDS mit zwei vollkommen unterschiedlichen Wahlkampfstrategien. „Zwei große Europäer“ präsentiert sie in ihrer Wahlkampfzeitung: Im Osten schütteln sich Hans Modrow und Fraçois Mitterrand strahlend die Hände, im Westen Gregor Gysi und Fidel Castro.