■ Zur Person
: Ein linker Vordenker

In seinem letzten großen Werk „Kritik der ökonomischen Vernunft – Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft“ (Rotbuch, 1989) führt André Gorz seinen Leserinnen und Lesern drastisch vor Augen, welche Alternativen es für die künftige gesellschaftliche Entwicklung gibt.

Man kann der Frage nach der zukünftigen Gesellschaft nicht ausweichen, wenn man nicht den destruktiven Zerfall des gegenwärtigen Zivilisationsmodells mit unendlichem sozialem Elend und gewaltsamer Konfliktentladung hinnehmen will. Gorz formuliert seinen Zukunftsentwurf in einer Zeit, in der angeblich alle Utopie sinnlos geworden ist. Aber utopisches Denken, so schreibt er in einem kürzlich erschienenen Aufsatz, „heißt nur, die am Horizont sich abzeichnenden Veränderungen bis zum Ende ihrer Konsequenzen zu denken“. Nur im Lichte dieser Perspektiven könne eine Gesellschaft kritisch reflektieren, „was sie tut und was sie läßt“.

Der 1924 in Wien geborene André Gorz lebt heute zurückgezogen in Frankreich auf dem Lande. Reisen unternimmt er kaum noch. Kongreßeinladungen nimmt er nicht mehr an. Und doch ist der intellektuelle Einfluß des langjährigen Mitstreiters von Jean Paul Sartre in den letzten Jahren ständig gewachsen. In den sechziger Jahren wirkte er als Theoretiker der Arbeiterselbstverwaltung, seit den siebziger Jahren ist er einer der Vordenker der politischen Ökologie. In Deutschland führte sein Buch „Abschied vom Proletariat“ (1980) zu heftigen Diskussionen innerhalb der gewerkschaftlich orientierten Linken. Seine „Wege ins Paradies“ (1983) wurden zum Kultbuch für die undogmatische, ökologische Linke, während die Freunde des realen Sozialismus ihm Verrat an der Arbeiterklasse vorwarfen.

Gorz steht in der Tradition der freiheitlichen französischen Philosophie. Die Dogmatisierung des Marxismus hat er nie mitgemacht, obwohl er selbst immer auch aus marxistischen Quellen geschöpft hat. Deshalb hat er auch nie die ökologische von der sozialen Frage getrennt, sondern im Gegenteil das Ökologische immer als Teil der sozialen Frage verstanden.

Ziel seines Denkens ist es, die historisch jeweils möglichen Freiheitschancen zu analysieren. „Die Geschichte kann uns Freiheitspotentiale bereitstellen“, schreibt er in seiner „Kritik der ökonomischen Vernunft“. Aber sie kann die Menschen „nicht davon dispensieren, diese zu ergreifen“. Martin Kempe