Wenn es Nacht wird im Armeemuseum

Klammheimlich ließ der umstrittene Direktor des Bayerischen Armeemuseums sein skandalträchtiges Souvenir „Zinnsoldat in SS-Uniform“ über Nacht zum Luftwaffensoldaten umstreichen  ■ Aus Ingolstadt Bernd Siegler

Stolz erheben sich die mächtigen weißen Türme des Neuen Schlosses am Donauufer in Ingolstadt. Einst waren sie Sitz bayerischer Herzöge. Doch nun finden in den gotischen Sälen und Kammern Waffen, blutrünstige Schlachtengemälde, türkische Beutestücke und Nebelwerfer aus dem Zweiten Weltkrieg einträchtig nebeneinander ihre neue Heimat. Schon am Eingang blickt man in die Mündungsrohre von siebzehn Prunkkanonen – sinnfälliges Ambiente, um die Besucher auf das Bayerische Armeemuseum einzustimmen.

Dunkle Wolken verdüsterten jedoch in den vergangenen Wochen den Himmel über dem weißen Schloß. Eine an der Museumskasse zum Verkauf angebotene Zinnfigur, die einen SS-Unterscharführer darstellt, unkommentiert ausgestellte Uniformen, verziert mit Hakenkreuzemblemen, und eine immer wieder hinausgeschobene Ausstellungseröffnung zum Ersten Weltkrieg brachten das Museum in die Schlagzeilen. Der Landtag debattierte bereits über die Ingolstädter Waffenschau, Museumsdirektor Ernst Aichner mußte sich einer Strafanzeige wegen Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen erwehren. Eine weitere Anzeige konnte nur mit gütiger Mithilfe phantasievoller Staatsanwälte zur Einstellung gebracht werden.

1879 wurde das „Königlich- Bayerische Armeemuseum“ in München gegründet. 93 Jahre später zog es nach Ingolstadt um. Gefördert vom Bayerischen Kultusministerium, protegiert von den CSU-Stadtoberen und unterstützt von einem im Ottobrunn ansässigen kapitalkräftigen Freundeskreis, wurde dort der erste Bauabschnitt des Armeemuseums im Neuen Schloß 1972 eröffnet. Inzwischen reicht den Waffensammlern das geräumige Schloß nicht mehr aus. Mit begehrlichen Blicken schielt Museumsdirektor Aichner auf ehemalige Festungsbauten am gegenüberliegenden Donauufer: den Turm Triva, das Reduit Tilly, die Reithalle und das Exerzierhaus. Nach dem Heeresgeschichtlichen Museum in Wien und dem Imperial War Museum in Großbritannien wäre das Ingolstädter Armeemuseum dann das drittgrößte seiner Art in Europa. Aichner geriet ins Schwärmen: „Man könnte sich fühlen!“

Die Gefühle sind nicht bei allen gleich: Im Winter 1991 schlossen sich sechzig Ingolstädter zur Bürgerinitiative „Kultur statt Kanonen“ gegen die „zügellose Erweiterung des Museums“ zusammen, an der Spitze der Intendant des Stadttheaters, Ernst Seiltgen. Er findet es „unerträglich, wie Aichner sich mehr und mehr ausbreitet“. Auch der SPD-Landtagsabgeordnete Manfred Schuhmann lehnt eine Erweiterung des Museums ab. Für ihn ist Aichner ohnehin nur ein „Waffenfetischist“.

Direktor Aichner versteht solche Aufregung nicht. Er betrachtet das Museum, das im letzten Jahr 50.000 Besucher „aus allen Kontinenten“ anlockte, als „Geschenk für eine von Touristenscharen nicht gerade verwöhnte Stadt“ und beansprucht dafür Dankbarkeit von den Stadtvätern. Oberbürgermeister Peter Schnell, CSU, ist zwar Mitglied des Freundeskreises des Museums, findet aber die Aussicht einer Fachhochschule in Ingolstadt verlockender als eine Mammutwaffenschau. Zudem gingen bereits auch führende Köpfe der in Ingolstadt dominierenden Firma „Audi“ auf Distanz. Audi- PR-Chef Karl-Heinz Rumpf prophezeit ein „weltweites Entsetzen“ über die Ingolstädter Aufrüstung des Armeemuseums. Jetzt soll im Turm Triva die Ostasiensammlung des Völkerkundemuseums ihren Platz finden, Reithalle und Exerzierhaus werden für Mensa und Aula der FH freigehalten.

Angelastet wird Aichner nicht nur seine Sammelwut. In den Museumsdepots schlummern ein echter Starfighter, zwei U-Boote, ein Panzer T 34 und ein ausgedienter Polizei-Wasserwerfer. Vor allem das Fehlen eines museumspädagogischen Konzepts werfen die Kritiker dem 50jährigen Direktor vor. Bereits 1988 mahnte der Landtag vergeblich ein derartiges Konzept an. Aichner betrachtet aber das Neue Schloß als „Provisorium“. Erst mit der Eröffnung der Ausstellung zum Ersten Weltkrieg könne man ein pädagogisches Konzept sichtbar machen. Doch die ursprünglich für Anfang 1992 vorgesehene Eröffnung wurde jetzt erst wieder auf den Sommer 1994 verschoben.

So erfahren seit über 20 Jahren die Besucher des Neuen Schlosses zwar anfangs der Schautafeln die Geschichte von Dolch, Schwert und Pistole. In den anschließenden Räumen aber suchen sie Schrifttafeln, die die gezeigten Objekte einordnen, vergebens. Da hängt dann die Feldjacke eines Oberstleutnants der Wehrmacht mit Totenkopfemblem und Hakenkreuz einträchtig neben dem Rock eines Bundeswehrleutnants. Von einem Nebelwerfer des Deutschen Reiches aus dem Zweiten Weltkrieg erfährt man nichts weiter als dessen technische Daten (max. Schußweite 6.900 Meter), daneben eine überdimensionale Hakenkreuzfahne. Ohne weitere Erläuterung.

Das Nicht-Konzept zieht sich auch in der Abteilung „Technik im Krieg“ durch. Bilder zeigen Gaswagen, Teleskope und Soldaten mit „Behelfshandgranate“ – unkommentiert. Vergebens sucht man die Darstellung des Grauens des Krieges, sucht man Fotos von Verletzten, Hungernden, von Opfern. Bei den Zinnsoldaten marschieren Wehrmachtssoldaten mit stolzgeschwellter Brust und Hakenkreuz-Fahne, in der Abteilung „Orden und Ehrenzeichen“ dann Ritterkreuze mit Eichenlaub und Hakenkreuzen. „Weniger als ein Prozent der ausgestellten Objekte tragen NS-Embleme“, kommentiert Museumsdirektor Aichner.

Ein derartiges Objekt brachte jedoch bis heute die Ingolstädter Gerichtsbarkeit auf Trab. Als im März dieses Jahres der 26jährige Jörg Egerer durch das Armeemuseum spazierte, traute er seinen Augen nicht. In der Vitrine im Kassenraum stand eine kleine Zinnfigur, die einen SS-Unterscharführer mit Tarnhemd und SS- Runden am rechten Kragenspiegel darstellte. Käuflich zu erwerben als Souvenir für 75 Mark. Egerer, als verbeamteter Rechtspfleger am Ingolstädter Amtsgericht des Gesetzes kundig, wußte, daß der Verkauf von Figuren mit verfassungsfeindlichen Kennzeichen strafbar ist. Bei einem weiteren Museumsbesuch ließ Egerer die Figur fotografieren und stellte am 23. März Strafanzeige gegen den Museumsdirektor. Aichner sei „als führendem Militärhistoriker die Bedeutung der Runen zweifelsohne bekannt“. Der Rechtspfleger berief sich dabei auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes, das NS-Embleme auf Modellbausätzen untersagt hatte, um einem „Gewöhnungseffekt bei jungen Leuten“ vorzubeugen. Wo „immer mehr junge Menschen sich für das menschenverachtende Gedankengut des Nationalsozialismus anfällig zeigen und, mit Insignien des Dritten Reiches geschmückt, zur Menschenjagd antreten“, dürfe ein staatliches Museum nicht derart verantwortungslos handeln, argumentierte Egerer. Man sollte den „SS-Unterscharführer a.D. Franz Schönhuber nicht dadurch salonfähig machen, daß man kleine Unterscharführer als Souvenir verkauft“, schrieb Egerer zusätzlich dem Kultusministerium.

Die Strafanzeige ließ Museumsdirektor Aichner kalt. Ein derartiger Vorwurf sei „lächerlich und unhaltbar“, schrieb er eine Woche nach der Anzeige am 1. April der Polizeidirektion Ingolstadt. Es habe sich nicht um einen SS-Mann, sondern um einen Angehörigen der Luftwaffe gehandelt. Dem Ingolstädter Donaukurier gegenüber bezeichnete Aichner die SS-Runen als „schlampig gemalte Schwingen der Luftwaffe“.

Eine infame Darstellung angesichts dessen, was vorher passiert war. Einen Tag zuvor, am 31. März, hatte die Staatsanwaltschaft endlich auf die Strafanzeige reagiert und zwei Polizeibeamte ins Museum geschickt. Anstatt die Figur gleich zur Beweissicherung mitzunehmen, begnügten sich die Beamten mit einem Polaroidfoto aus respektvoller Entfernung. Erst einen Tag danach rückten die Beamten auf Weisung der Staatsanwaltschaft erneut an und stellten die Figur sicher. Doch siehe da, statt schwarzer Kragenspiegel hatte die Figur plötzlich marineblaue, anstelle der Runen waren nur mehr zwei durchgehende weiße Linien zu sehen. Bei näherem Hinsehen war jedoch klar: der Farbauftrag am rechten Kragenspiegel war erhöht, durch den blauen Anstrich schimmerte schwarze Farbe hindurch. An den Figuren war also manipuliert worden.

Erst nach sechs Wochen wurden die Ingolstädter Ermittlungsrichter stutzig. Mitte Mai vernahmen sie den Museumsdirektor. Der schloß eine Manipulation der Figur mit Sicherheit aus. Außerdem habe er trotz Lupe auf der Figur keine SS-Runen entdecken können. Pech für Aichner, daß der Museumswärter P. am nächsten Tag dem Vernehmungsbeamten gestand, er hätte die SS-Runen gemalt. Nach mehreren Vorhaltungen räumte P. auch ein, das Corpus delicti in der Nacht übermalt zu haben – im ausdrücklichen Auftrag des Museumsdirektors. Aus einem verbotenen SS-Unterscharführer wäre so ein unverdächtiger Luftwaffensoldat geworden. Der war dann am nächsten Morgen der Polizei überreicht worden.

Zwischenzeitlich hatte auch Jörg Egerer von dem Ummalen erfahren und gegen Aichner eine Strafanzeige wegen versuchter Strafvereitelung gestellt. Während Museumswärter P. wegen Verwendung von verfassungswidrigen Kennzeichen zu einer Geldstrafe von 2.700 Mark verurteilt wurde, hatte man das Verfahren gegen den honorigen Museumsdirektor selbstredend eingestellt. Zwar kommt die Staatsanwaltschaft beim Landgericht in Ingolstadt zu dem Ergebnis, daß Aichner dem Wärter P. den Auftrag gab, die Figur zu manipulieren, und daß Aichners Angaben bei der Polizei unrichtig waren, der Direktor habe sich aber trotzdem nicht der versuchten Strafvereitelung schuldig gemacht. Denn wegen Strafvereitelung könne nicht bestraft werden, wenn der Täter seine eigene Bestrafung vereiteln wolle. Das Verhalten des Direktors, so die Staatsanwälte, sei zwar objektiv, eine versuchte Strafvereitelung war jedoch „entschuldbar“.

Mit diesem Ergebnis will sich Egerer nicht zufriedengeben. Er reichte Beschwerde gegen die Einstellung ein. Unabhängig davon, ob ein strafbares Verhalten Aichners vorliege, findet es der Rechtspfleger „sehr befremdlich, wenn in einem staatlichen bayerischen Museum das SS-Symbol als Souvenir angeboten wird und dann der Museumsleiter einen Untergebenen anweist, Beweismittel in einem Strafverfahren zu manipulieren, und schließlich Staatsanwaltschaft, Polizei, Presse und auch noch den eigenen Minister anlügt“.

Aichners Hausmacht in Ingolstadt und München bröckelt, die Sammelwut des Direktors und seines musealen Freundeskreises jedoch ist ungebrochen. „Ich bereite in einigen Jahren eine Ausstellung über den Zweiten Weltkrieg im Rahmen unseres Auftrags vor“, kündigt Aichner an, obwohl Bayerns Kultusminister Zehetmair klargestellt hatte, daß die Geschichte der Bayerischen Armee ihren „Schlußpunkt mit dem Ende des Ersten Weltkrieges“ gefunden habe. Doch schon wieder ist die Ingolstädter Justiz im Falle Aichner zugange. Gegenstand von Egerers Strafanzeige ist diesmal eine kommentarlos ausgestellte Uniform des Reichsarbeitsdienstes (RAD) mit Hakenkreuzbinde. „Ein historisches Museum darf Uniformen so ausstellen, wie sie waren“, meint Aichner. Der Rechtspfleger ist anderer Auffassung: „Die öffentliche Ausstellung der RAD-Uniform ist nicht durch den militärgeschichtlichen Forschungs- und Aufklärungsauftrag des Armeemuseums gedeckt.“